Autogenes Training, Meditation und Psychoanalyse

Naturwissenschaften wie etwa die Neurowissenschaf­ten, aber auch die Religionen und Philosophien genügen nicht mehr für das Verständnis von seelisch-körperlichen Zusammenhängen (vor allem bei Krankheit und deren Behandlung). Was die wissenschaftliche Verständ­nisseite angeht, eignet sich hierfür ideal die Psychoanalyse. Was die mehr praktische, die Behandlungsseite angeht, emp­fehlen sich meditative Übungsverfahren. Auf dem ersten An­hieb scheinen sich aber therapeutische Methoden wie die Psy­choanalyse und die Meditation (z. B. autogenes Training, buddhistische Meditation) total zu widersprechen. Aber es genügt jedoch schon eine einfache Betrachtung, um zu sehen, dass beide

doch das gleiche betref­fen und sehr ähnlich sind: So hört der Analytiker mit - wie Freud es nannte - „gleichschwebender Aufmerksamkeit" sei­nem Patienten zu, während in der Meditation der Übende selbst mit ebenso schwebender Aufmerksamkeit in sich hineinhor­chen muss. Genauso entsprechen die „freien Assoziationen", also die freien Einfälle in der Analyse, dem freien Auftauchen von Einfällen in der Meditation, insofern diese durch eine einfache Anleitung schon etwas geführt, vorstrukturiert werden ([1]). Lediglich in der wissenschaftlich aufgebauten Vorstrukturierung besteht ein Unterschied. Denn der Analytiker ist während der Anwendung des psychoanalytischen Verfahrens viel mehr persönlich gegenwärtig, während in der Meditation die physische Person des Lehrers in den Hinter­grund tritt.

Man muss jedoch bedenken, dass die persönliche (physische, emotionale) Anwesenheit des Psychoanalytikers nicht das Wesentliche ist. Vielmehr ist er als das gefragt, was man in der Analyse das Übertragungsobjekt nennt. Der Patient überträgt in der Psychoanalyse eigene Bedeutungen auf den Analytiker oder aktualisiert Vergangenes auf dessen Gegenwärtigkeit. Der Patient nimmt also als Objekt seiner Übertragungen. Genau und nur in dieser Verwendung als Übertragungsobjekt  (und das heißt als Zentrum, als Schatzhaus der Signifikanten) ist der Analytiker wichtig. Verwendet man jedoch in der Meditation Formulierungen, die sich am Rande des Sprachlichen bewegen und wissenschaft­lich genau dem psychoanalytischen Konzept entsprechen (sie werden als Formel-Worte in anderen Artikeln bei der Ausarbeitung der Analytischen Psychokatharsis detaillierter dargestellt), kann man auch diesen Unterschied vernachlässigen und überwinden. Denn diese Formulie­rungen wirken wie Übertragungsobjekte, jedoch nur in umgekehrter Richtung! Die Objektivierung aber auch deren Auflösung finden im Komplex der Formel-Worte selbst statt.

Das „autogene Training“ könnte als ein beispielhaftes Verfahren gelten, das sich um Wissenschaftlichkeit bemüht und auch in seiner sogenannten Oberstufe einen Zusammenhang mit der Psychoanalyse hergestellt hat. In seiner Unterstufe beruht es auf Übungen, die sich am Körpergefühl, Körperbild, an körperlichen physiologischen Prozessen orientieren wie z. B. der Atmung - eine in sehr vielen Meditationsformen angewandte Methode. Das Wesen dieser Übungen wurde durch statistische Auswertung von Befragungen Hypnotisierter gewonnen ([2]). Es führt zu einer allgemeinen Entspannung, die in dem Zustand einer „vegetativen Umschaltung“ oder einer „Organismischen Umschaltung“ gipfeln soll. Meistens sind aber die Übungen der Unterstufe nicht ausreichend, um wirklich eine derartige „Umschaltung“ im Nervensystem zu vollziehen. Man hat daher eine zusätzliche Oberstufe des autogenen Trainings geschaffen, in der die einzelnen Übungen aber aus rein beschreibenden, inneren (z. B. Bildersehen) Einstellungen bestehen, die einer wirklich wissenschaftlichen Zuordnung entbehren. Sie sind weder naturwissenschaftlich durch exakt experimentell nachgewiesene Hirnphysiologie noch geistig-psychologisch z. B. an Hand eines präzisen psycholinguistischen Vorgehens, wie ich es mit der Analytischen Psychokatharsis versuche, festgelegt.

K. Rosa hat versucht psychoanalytisches Gedankengut in die Oberstufe des autogenen Trainings mit hineinzunehmen, ein Ansatz, der heute von vielen Lehrern dieser Methode benutzt wird. Doch bei allen Autoren wird dazu als „Einstieg“ nichts anderes als „Farbensehen“ oder „Objektvorstellungen“ empfohlen, Übungen, die zuerst einmal nichts mit dem wirklich subjektbezogenen Erleben und Erfahren des einzelnen Individuums zu tun haben ([3]). Denn warum fängt man z. B. nicht mir Musik an? Warum nicht mit Geschmacks- oder Tastempfindungen? Das imaginative Bildersehen wird von Rosa dann anschließend psychoanalytisch bearbeitet und gedeutet. Auch in allen anderen Bücher über die Oberstufe findet sich kein neutraler Anfang, so wie er in der Psychoanalyse wenigstens weitgehendst gestaltet wird, indem dem in die Methode Einsteigenden empfohlen wird, „alles zu sagen, was ihm in den Sinn kommt.“ Wie auch bei fast allen Meditationsverfahren wird der „Einstieg“ in die Oberstufe jedoch durch etwas vermittelt, das dem Lehrer, dem Vermittler in den Sinn kommt, also geradezu das umgekehrte Vorgehen. So ist auch auffallend, dass z. B. das Sexuelle in den Büchern über das autogene Training überhaupt nicht erwähnt wird. Es ist dies auch unmöglich, denn mit welcher ‚formelhaften Vorsatzbildung‘ (wie es in der Oberstufe heißt) sollte man hier arbeiten?

In der Unterstufe wird das Muskelsystem als „durchströmt“, der Kopf als „kühl“, die Atmung als „ruhig“, das Herz als „kräftig“ und der Bauch als „warm“ meditiert, aber für den Unterleib hat man natürlich keine Formel, was durchaus verstehbar ist. Denn sowohl „durchströmt“ wie „ruhig“ wären heikle Worte und so etwas wie „kühl“ würde den Kastrationskomplex endgültig verfestigen. Alle Anweisungen in der Oberstufe sind also zu sehr vorgefasst und vorwiegend auf das Optische ausgerichtet. Was für den einen das richtige Wort sein kann, ist für den anderen genau der falsche. Eine definitive Aussage aus dem Unbewussten, wie Rosa behauptet, kommt nicht zustande. Man hat bei allen Autoren über das autogene Training und speziell dessen Oberstufe den Eindruck, dass etwas sehr Schönes, eher allgemein Andächtiges gesagt wird, das mit der wahren Psychodynamik des Übenden nicht unbedingt etwas zu tun hat. All diese Probleme werden in der Analytischen Psychokatharsis vermieden, weil die „Formel-Worte“, die als „Einstieg“ dienen, keine derart definitive vorgefasste Aussage haben, obwohl doch eine Mehrheit von Aussagen in ihnen steckt.

K. Thomas, ein Schüler des autogenen-Training-Begründers I.H. Schulz versuchte die Problematik der mangelnden „Umschaltungs“- und umfassenderen Enthüllungs-Erfahrung dadurch zu umgehen, dass er eine Einteilung durch Differenzierung von Bewusstseinszuständen in unter- über- und außerwache vornahm, wobei er die  letzteren noch in pathologische und gesund-physiologische  unterteilte ([4]). Der Begriff der „Wachheit“ aber, fachlich würde man sagen der „Vigilanz“, der allem zugrunde liegt, wird überhaupt nicht geklärt. Geht es in der Meditation überhaupt um Wachheit oder mehr ums Unbewusste, was sich fast zu widersprechen scheint, oder geht es vielleicht nur um das, was anders bewusst, anders „wach“, „bewusst“ wird (als symbolisch Andere(r)(s))? Die Problematik all dieser Verfahren wird also am besten durch eine psychoanalytische Betrachtungsweise deutlich, wie ich sie schon mehrmals erwähnt habe.

Denn alle diese Einteilungen wie Thomas sie ausführt gehen vom Bewusstsein aus, das wir aufs engste mit dem ‘Ich‘ verknüpft sehen, als Ich- oder Selbstbewusstsein und nicht vom Unbewussten. Nach ca. 80 Seiten des Versuchs, in seinem Buch zu sagen, was Bewusstsein ist, gibt der Psychologe J. Jaynes z. B.  folgende Definition : Das Bewusstsein ist ein „durch Metapher erzeugtes Modell der Welt“ ([5]). Das klingt nicht schlecht. Aber es stellt nur die eine Seite des Ganzen dar, die mehr worthaft vorbewusste. Wenn J. Lacan sagt, dass das Bewusstsein eine „Einheit ist, die virtuell durch eine Spiegelung“ entsteht ([6]), also durch eine „Umkehrung des Blicks“, so meint er mehr die andere, die mehr bildhafte Seite, die zwar paradoxerweise unbewusst abläuft, uns aber etwas vom Gefühl des Bewusstseins gibt. Auf jeden Fall ist das Bewusstsein nichts, was sich selbst transparent ist, sich z. B. des „Bewusstseins bewusst zu sein“. Auf eine derartige Selbstbespiegelung allein kommt es nicht an. Deswegen brauchen wir ja auch, egal wovon man ausgeht, die Meditation und nicht nur einfach eine theoretische Erklärung. Sich des „Bewusstseins bewusst zu sein“ ist sicher ganz nett und eine witzige Gedankenübung. Interessant wird es erst, wenn man sich komplexerer Zusammenhänge bewusst werden muss, also das, wo eben das Unbewusste mitspielt. All die Bücher, die wir schreiben können, führen uns höchstens dahin, wo wir in der Meditation den letzten Sprung selber machen müssen. Den Sprung aus dem Bewusstsein heraus und wieder zurück. Den Text-Sinnzusammen­hang im Bewussten verändern zu einem  „Anders-Bewusst-Sein“ (Bewusst / Unbewusst – Sein) und zu einem von fixierten Text weggehenden mehr intersubjektiven Sinnzusammenhang.

Metaphorisch verfasstes Modell der Welt, Rückspiegelung des Blicks: halten wir weiterhin diese beiden Formulierungen noch einmal fest, die ich in vielen Artikeln schon mit dem mehr vom Worthaften „Spricht“) oder mehr vom Bildhaften („Strahlt“)  ausgehenden Vorgängen so unterteilt hatte. Ich hatte (ebenso in vielen Artikeln dieser webseite) schon  von der Wort-Seite der Meditation gesprochen (Stimme, Schrift, Texte), deren Metaphorik aber so dicht sein muss, so plastisch, dass man es förmlich „greifen“ (Gewissheit der „Verstandesschauung“ bei den Mystikern) können müsste und andererseits auch von der Blick-Seite (Bilder, göttliche  Erscheinungen), deren Differenz im Bildhaften aber so klar sein müsste, so durch Horizonte gegliedert, dass sich uns das sprachliche Symbol geradezu aufdrängt.  Das Ganze scheint wie ein Knoten zu sein, wie Bahnen, die sich schneiden und an ihren Schnittstellen ein Bewusstsein erzeugen, das mehr ist, als nur „sich seiner selbst bewusst zu sein“. Es geht um diese unbewusste Art des Bewusstseins, die Lacan durch topologische Linien einzufangen versucht, durch die Struktur dynamischer Knoten und Verschlingungen, die die Freudschen „Libido-Bahnen“ anzeigen. Denn von den wissenschaftlichen Präzisionslinien gehe ich aus, um schließlich an einer Stelle anzukommen, deren Rest nur noch meditiert werden muss. Statt von topologischen oder geodätischen könnten wir besser von „psycho-dätischen“ Linien sprechen ([7]).

Wenn es bei der Hypnose, also bei der Manipulation durch Stimme, Vorgaben, Person des Therapeuten etc., die diese Methode als ungeeignet erscheinen lassen, sind es beim autogenen Training subtilere Vorgaben. Bei dem Psychoanalytiker H. Kraft scheinen es „abstinente“, „autogene“ Nichtvorgaben zu sein, wie er auch selbst behauptet, die sich jedoch beim genaueren Hinsehen dann jedoch auch wieder als echte Vorgaben entlarven.([8]) Denn auch Kraft versucht als Analytiker möglichst nichts Suggestives in das Verfahren einzubringen, lässt aber die Probanden dennoch anfänglich ein Stimmungsbild und ein entsprechendes Stimmungswort aufzeichnen und beginnt die Sitzung ebenfalls damit, vor einem weißen Hintergrund ein Bild aufsteigen zu lassen. Warum soll nicht eine Silbe, ein Schriftzeichen, ein Wort auftauchen? Kraft versucht derartige andere Erfahrungen durch die dann nachgeholten Assoziationen in der Übungsgruppe unter der Leitung eines Analytikers zu ergänzen. Doch gilt für Kraft letztendlich auch eine sogenannte „spirituelle Erfahrung“ als wesentlich und wahr, und damit verlässt er eine wissenschaftliche psychologische oder psychoanalytische Ebene.(8, S. 171)

Die Psychoanalyse dagegen ist nicht auf derartigen vorgefassten Formulierungen aufgebaut. Hier kann der Patient selbst reden, was er mag, was freilich den Nachteil hat, dass er mit seinen Einfällen vom Hundertsten zum Tausendsten kommen kann und so das Verfahren ad absurdum führt. Er kann vieles auch ganz einfach nicht sagen, weil die Blockaden zu tief sitzen, die psychischen ‚Objekte‘ zu wenig in ihm repräsentiert sind und anderes mehr. Doch auch von Analytiker her können Begrenzungen wirksam werden. So kann seine Gegenübertragung den Patienten spürbar werden oder wenn sie sogar in bestimmten Formen ausgesprochen wird, um therapeutische Effekte zu erreichen, kann sie sogar schädlich sein. A. P. Herrmann hat in einer ausführlichen Darstellung die Behandlungsfehler durch den Therapeuten aufgezeigt.([9]) Er äußert sich sogar dahingehend, dass Fehler so manifest werden können, dass man von einer ‚Fehlerkultur‘ sprechen kann. Alles dies fällt weg, wenn der Therapeut nicht physisch anwesend ist, sondern nur als Übertragungs-Objekt präsent ist. Dies könnte freilich auch durch einen Computer geschehen, der entsprechend programmiert ist, was zwar von vielen Computerwissenschaftlern in Zusammenarbeit mit Analytikern versucht wird, effektive Ergebnisse sind jedoch noch himmelweit entfernt.([10])

Somit bleibt es bei dem idealen Übertragungs-Objekt des Formel-Wortes, das im Zusammenhang mit der Sprachfähigkeit des Unbewussten durch geeignete Pass-Worte auch eine Auflösung der Übertragungssituation ermöglicht (siehe ‚Die körperlich kranke Seele I‘, die auf dieser Webseite auch kostenlos heruntergeladen werden kann).



([1]) Dem Wort „geführt" widerspricht nicht, dass man in der Medita­tion versucht, „Einfälle" möglichst auszuschalten. Sie lassen sich eben nie ganz ausschalten und nach einer Zeit der Meditation treten ja auch wieder viele Gedanken auf, die die nächste Meditation wieder beeinträchtigen können.

([2]) Schulz, I. H., Das autogene Training, Thieme Verlag (1970)

([3]) Rosa, K., Das ist die Oberstufe des autogenen Trainings, Kindler (1975)

([4]) Thomas,K., Meditation, Steinkopf-Thieme (1973) S. 14

([5]) Jaynes, J., Der Ursprung des Bewusstseins, Rowohlt (1993) S.87

([6]) Lacan,J., Seminar II, Walter (1980) S. 63-70

([7]) Geodätische Linien sind Schwerkraftlinien, also die Bahnen, auf denen sich Schwerkraftverhältnisse ereignen. Mit der Physik aber wird man niemals an diesem Punkt ankommen, den wir durch Einbeziehung der Meditation erreichen wollen, den eben rein „psycho-dätischer“ Verhältnisse. All diese Begriffe, auch die physikalischen, helfen uns aber „Linienverhältnisse“ in uns einzurichten, so dass am Ende nur noch ein meditativer Sprung und nicht lebenslange Meditation nötig ist.

([8]) Kraft, H., Autogenes Training, Hippokrates (1996)

([9]) Herrmann, A. P., Behandlungsfehler und Fehlerkultur in der psychoanalytischen Praxis PSYCHE Nr. 7 (2016)  

([10]) Bruckner, D., Dietrich, D., Simulating the Mind: A technical neuropsychoanalytical Approach, Springer (2009)