Neoliberale, kultureller Jetset und Gentrifizierung der Kultur

Die heutigen Gesellschaftsklassen.

Der ‚New Deal‘, eine Wirtschafts- und Sozialreform, ausgehend von den USA in der dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts und das Ende des zweiten Weltkriegs haben die Menschheit einen Neubeginn erfahren lassen. Während der ‚New Deal‘ eine Art ‚Umverteilung der Karten‘ bedeutete, war das Ende des Krieges in Europa ein Neuanfang bei fast Null. Doch schon bald danach, etwa zu Ende der sechziger Jahre kam bereits dasjenige Fortschrittsnarrativ auf, das den sogenannten neo- oder linksliberalen Jetset hervorbrachte, also Leute, die ständig von Emanzipation, Gleichstellung und Diversity reden, diese aber nicht wirklich umsetzen. Was Deutschland angeht, könnten die meisten von ihnen SPD und GRÜNE-Wähler sein. Ihnen stehen die Konservativen gegenüber, die sich ebenso gerne revolutionär geben, indem sie die Ökonomisierung, wirtschaftliche Globalisierung und freiheitliche Gesinnung predigen, die jedoch nur für sie selbst gedacht ist (deutschlandweit meist CDU-Wähler). Doch nun kommen auch noch die Kultur-Gentrifizierer hinzu (typische FDP-Wähler).

 

Die Kultur-Gentrifizierer setzen sich aus Menschen zusammen, die aus guten Mittelschichtberufen stammen, oft Akademiker sind, Gebildete zumindest, die ständig in Theatervorstellungen und Konzerte gehen, Fitness und Sport betreiben, viel auf Reisen gehen, sich untereinander treffen und sich dabei dieses Konglomerat von Meriten bestätigen. Sie revolutionieren nicht, die rücken einfach ins gemeinsame Zentrum der kulturellen Selbstbestätigung, gentrifizieren also die Kultur ziemlich unmerklich, und so setzen sie also auch nichts von dem um, was sie eigentlich denken zu sein: Vorbild für alle. Das heißt, Vorbild sind sie ja, aber eben nicht für alle. Nicht für die Kinder jedenfalls, die zu einem hohen Prozentsatz immer noch in deutlicher Armut aufwachsen, nicht „für diejenigen, die sich in der globalen, offenen Welt nicht zurechtfinden, Menschen, die auf keiner Gästeliste stehen; ‚abgehängte‘ Frauen und Männer, die weder kreativ noch vernetzt sind, die kein Englisch können, KZ-Hühnchen bei Aldi kaufen, RTL2 schauen und sich am Stammtisch gegen die da oben echauffieren und sexistische Witze reißen.“[1]

Alles ist eigentlich nur noch ‚Pseudo‘, nichts ist mehr echt, tiefgründig, ehrlich, wirklich sozial und geopolitisch vernünftig, reich und gut. „Konservativ sind nur noch die Unterschichten. Rückständige Muslima, Wutbürger, Versager. White trash.“1 Es ist wirklich schwer, sich noch in der Welt auszukennen, gelungen an ihr teilzunehmen, schlicht authentisch und doch konstruktiv zu sein. Freilich gab es dies wahrscheinlich auch früher nicht. Vor allem gab es in der vergangenen Geschichte Europas ja nur grauenhafte Kriege, stetiges Ringen um weltliche oder sogenannt ‚geistige‘ Macht, intrigante Ideologien, total versteckte Perversionen und Korruption. Heute kann jeder seine Perversion ausleben, ein Mann kann immer wieder eine andere Frau haben und noch zahlreiche andere im Kopf dazu (das ist die Perversion der Heterosexualität), Schwule können sich in großen Umzügen als fortschrittliche Narren zeigen (das ist die Perversion der Homosexualität), Korrupte als geniale Finanzgrößen und Ideologen als Ewiggestrige. Das ‚Pseudo‘ ist also besser geworden.

Demgegenüber hat niemand ein wirklich greifendes Konzept. Es gibt zwar eine enorme Menge an sehr gescheiten Veröffentlichungen: S. Hall, Rassismus und kulturelle Identität, H. Welzer, Die smarte Diktatur, D. Precht, Erkenne die Welt, R. Pfaller, Erwachsenensprache, H. J. Körtner, Für die Vernuft, wider Moralisierung und . ., D. Haselbach, Der Kulturinfarkt, A. Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten, und Zig andere mehr. Auch wenn der amerikanische Politikwissenschaftler M. Lilla meint, linke Identitätspolitik dürfe sich nicht nur mit der Forderung nach Gender-Klos und Evangelikalismus beschäftigen, sondern mit konkreter Innen- und Außenpolitik, wird er nicht viel bewegen.[2] Er meint ja selbst, die jungen Leute interessieren sich nicht dafür. Man interessiert sich für sich selbst und seine gesellschaftliche Performanz. Das ist ja auch gut so, doch hätte ich dafür etwas Besseres zu bieten.

Denn keine auch noch so sanft und rücksichtsvoll vorgetragene Belehrung ist in diesem Fall geeignet. Vielmehr muss es um etwas gehen, worin der Einzelne und sein Ich zuerst gefragt ist, so dass er dann leichter eine Aussage zur Kultur- oder Sozialpolitik machen kann. Schon immer hat es geheißen, dass zuerst die Selbsterkenntnis wichtig ist und man erst danach auf die Welt- oder Gotterkenntnis setzen kann. Das ist es ja, dass die werdenden Politiker gleich von Anfang an auf ihre politische Meinung setzen und man ihnen dann später vorwerfen muss, dass sie Narzissten oder Ideologen sind und nicht die gesuchten politischen Führer, die ganz für die Menschen, die sie regieren, da sind. Voll da sind, was nicht heißt, dass sie sich vollends aufopfern müssen, aber dass sie nicht nebenbei noch ein Eisenbahnzimmer zu Hause haben, eine Geliebte oder irgendeine andere Sucht.

Für die Selbsterkenntnis empfehle ich das auf dieser Webseite vielfach erwähnte Verfahren der Analytischen Psychokatharsis. Dieses Verfahren bietet nämlich die Möglichkeit zuerst eine Selbsterkenntnis ohne Belehrungen, Vorschriften und Regeln, sondern mit Hilfe eines kathartischen Erlebens, einer befreienden  Selbstsublimierung zu erreichen. Das Verfahren schließt auch eine der Psychoanalyse zugeordnete Selbstdeutung ein. Bekanntlich muss der Proband in der Psychoanalyse Deutungen seiner spontanen Einfälle, seiner Träume und Phantasien erarbeiten, die auf sogenannte 'psychische Objekte' hinweisen. Das 'Oral-Objekt' zum Beispiel ist ein 'Objekt' des psychischen Assimilierungsverlangens oder der unbewussten Verschmelzungssehnsucht. Solches geschieht auch in der Analytischen Psychokatharsis, indem dort - wie Lacan es manchmal nennte - "die Stimme des Objekts" gehört werden kann und so eine ähnliche Bearbeitung des Seelischen möglich ist. Die "Stimme des Objekts" ist nicht die Stimme irgendeines Menschen, wie es beim - nicht unbedingt kranken, sondern auch normalen - Stimmenhören vorkommt. Es ist die Stimme des eigenen Unbewussten, meist erkennt man sie auch als etwas Eigenes, wenn auch leicht Verfremdetes wie es sich auch im Traum ereignet. 



[1] Paoli, G., Die lange Nacht der Metamorphose, Matthes & Seitz, (2017)

[2] Lilla, M., The Once and Future Liberal, After Identity Politics (2017)