eR S´da, DIE KÖRPERLICH KRANKE SEELE II

Diese Broschüre ist als Fortsetzung der Broschüre „Die körperlich kranke Seele I“ oder auch als anders geartete Annäherung an das Verfahren der Analytischen Psychokatharsis gedacht. In der Art einer Biografie schreibe ich über den Weg, der von der Hypnose über das Autogene Training zur Psychoanalyse und schließlich zur Analytischen Psychokatharsis führte so wie ich es selbst erfahren habe. Wenn ich den Weg beschreibe, wie ich zu dieser psychosomatischen Methode gekommen bin, wird es vielleicht für viele leichter zu verstehen sein, um was es geht. Nach wie vor muss ich nämlich zugeben, dass diese Broschüren der „körperlich kranken Seele I und II“ keine leichte Lektüre im Sinne eines einfachen Ratgebers darstellen. Das Verfahren selbst

ist in seiner praktischen Anwendung simpel. Aber um ein wirklich tiefes Vertrauen darin zu haben, muss man auch die Theorie und die da-zugehörigen Zusammenhänge etwas verstanden haben, und dies ist nicht so leicht wie das Einüben der Praxis. Doch müsste man nicht eine gewisse intellektuelle Anstrengung vollziehen, würde es ja wieder nur vom Glauben abhängen wie das Verfahren wirkt. Es soll hier aber um eine Wissenschaft gehen, an der jeder teilnehmen kann.

Am Anfang war die Wissenschaft

In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts gab es in der Universitäts-Poliklinik in München den Professor Dr. Seitz, der – für damalige wissenschaftliche Verhältnisse erstaunlich fortschrittlich – Vorlesungen über Psychosomatik hielt. Psychotherapie war vor dem 2. Weltkrieg und auch kurz danach kaum ein Thema. Umso mehr war die Neugierde bei vielen meiner Kommilitonen und mir Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts geweckt, als Professor Seitz Vorlesungen dazu hielt. In den Vorlesungen von Prof. Seitz trat auch mehrmals ein Dr. Helbig auf, der autogenes Training und Hypnose praktizierte. Er versetzte meist einen der studentischen Zuhörer in Hypnose und stach ihm dann eine Stricknadel durch die Hand. Der Proband berichtete nach der Hypnose, dass er keinen Schmerz verspürt habe. Wir waren beeindruckt und gingen auch in die privaten Veranstaltungen Dr. Helbigs.


Doch nach einiger Zeit bemerkten wir, dass Dr. Helbig keinen so großen Überblick über die Psychosomatik besaß. Viel hatte er nicht drauf. Wir lernten das autogene Training, Unterstufe, und das war´s. Ich schloss mich damals der ärztlichen Gesellschaft für autogenes Training und Hypnose an und besuchte zwei drei Fortbildungen. Eine fand bei der jährlichen medizinischen Tagung in Karlsruhe unter der Leitung von Prof. Langen statt. Da ich in der ersten Reihe saß, holte er mich aufs Podium, um seine hypnotischen Fähigkeiten zu zeigen. Er legte die Fingerspitzen seiner Hände in Schulterhöhe an meinen Rücken und suggerierte mir etwas, dass er mich auffinge, wenn ich nach hinten sinken würde. Ich sank aber nicht nach hinten, ich spürte zu stark seinen Willen, dass ich ihm mehr oder weniger doch absichtlich folgen sollte. Nach kurzer Zeit gab er auf, ich sei nicht hypnotisierbar.


Mich erinnerte dies an Freuds Erlebnis bei Prof. Charcot in Paris vor wahrscheinlich ca. 140 Jahren. Auch hier ließ sich eine Patientin nicht hypnotisieren und Charcot herrschte sie an: „Vous contre suggestionnez!“ Freud war empört. Warum sollte sie nicht eine Gegensuggestion haben, wenn sie irgendetwas am Hypnosevorgang störte. Freud beschloss daher die Patienten ohne Hypnose zu behandeln, und auch ich fing damals an Freud zu lesen. Es sollte noch lange dauern, bis ich selbst 1969 eine psychoanalytische Ausbildung begann. Denn ich beschäftigte mich noch lange mit Hypnose und autogenem Training in Theorie und Praxis, bis ich von Freud endgültig überzeugt war.


Und noch länger, bis sich eine solche abschloss. Denn schon vor Beginn dieser Ausbildung war ich für einige Monate nach Indien gereist und hatte dort Interesse an Yoga und Meditation gewonnen. Ich las auch hierüber jede Menge Bücher. Besonders beeindruckt war ich von H.-U. Rieckers „Das klassische Yoga-Lehrbuch Indiens“ über die Hatha-Yoga Pradipika. Schriften Shivanandas, Dürckheims und anderer folgten. Als ich bereits eineinhalb Jahre im psychoanalytischen Ausbildungsinstitut war, stieß ich auch auf die Bücher Sant Kirpal Singhs über dessen „Surat Shabd Yoga“. Dieser meditative Yoga schien mir sehr einfach und einleuchtend, doch ich fragte mich natürlich, wie man ein derartiges Verfahren mit der Psychoanalyse zusammenbringen kann. Ich setzte meine psychoanalytische Ausbildung fort, war aber dann doch von der Persönlichkeit Kirpal Singhs sehr angetan, als dieser 1972 auf einer Tour durch Europa und Amerika war und ich persönlich Kontakt zu ihm haben konnte.


Einige Ausbildungskollegen im Institut warnten mich davor, Meditation und Psychoanalyse nebeneinander her zu betreiben. Aber ich kannte das Problem der zu vielschichtigen und scheinbar sich widersprechenden Methoden schon von anderer Seite her. Die Ausbildungsdozenten wiesen einen nämlich immer wieder darauf hin, dass man nicht zu viel über Psychoanalyse lesen sollte, so lange man in Ausbildung war. Ja, am besten sollte man gar nichts darüber lesen, denn zu dieser Zeit gab es bereits jede Menge an analytischer Literatur. Die Weisungen waren natürlich verständlich. Man sollte in der Lehranalyse aber auch in den Seminaren nicht ständig gescheit daherreden, was man theoretisch bereits alles wusste und gelesen hatte. Trotzdem haben wir alle nicht nur Freud, sondern auch Bücher anderer neuerer Psychoanalytiker studiert. Darunter war nicht nur C. G. Jung, der durch seine umfassende Bildung und metaphysische Be-trachtungsweise bestach. Darunter waren auch Riemann, Mitscherlich und viele andere Psychoanalytiker sowie später dann auch noch J. Lacan. Und natürlich redeten wir gescheit daher.


Heut kann ich gar nicht mehr verstehen, warum die Psychoanalytiker damals nicht so versiert waren, wenn schon uns das Lesen nicht ausdrücklich zu erlauben, es auch nicht so betont zu verbieten. Sie mussten doch wissen, dass es gerade besonders reizvoll ist, Verbote zu durchbrechen. Und was sollte schon passieren, wenn man einige Male zu gescheit daher redete. Darauf wusste doch jeder Lehranalytiker eine Antwort: Lassen wir den Kandidaten doch reden, nach einiger Zeit fragen wir ihn dann: und was meinen Sie selbst von sich? Reden Sie mal davon, was Ihnen sonst noch so in den Sinn kommt. Reden Sie von sich. Schließlich konnten die Ausbilder doch auch auf verschiedene Weise vermeiden, dass man zu viel über die Theorie der Psychoanalyse sprach, wenn es auch verständlich war, dass ein zu viel an Ra-tionalisierung, an Herum-Vernünftelei nicht gut sondern eher neurotisch war.


Es gab noch einige andere Dinge, die mir an der psychoanalytischen Ausbildung nicht so ganz gefielen. Mir waren die Leute alle zu zwanghaft, zu akribisch rigide. Ich hatte eine Mannschaft generöser, flexibler, kreativer Leute und Lehrer erwartet. Vor allem hatte ich nicht das Gefühl, dass dort meine Probleme, die ich ja auch schließlich selber hatte, verstanden würden. Doch auch das war selbstverständlich nur ein neurotisches Symptom. Aber nicht nur dieses gab den Dingen eine ein wenig andere Richtung. Ich griff meinen Surat Shabd Yoga wieder auf. Dieser war einerseits zwar ohne großen intellektuellen Anspruch, versprach aber dafür ein Aufgefangen- und Ge-klärtwerden für jegliche Neurose oder sonstige Problematik. Ich hatte wahrscheinlich damals eine Persönlichkeitsstörung, für die man vor allem in der analytischen Praxis noch nicht so gewappnet war. Einfache Neurosen wie Hysterie und Zwangsneurose waren schon durch Freud klar gefasst, aber komplexere Neurosen, sogenannte Grundstörungen waren noch Neuland.


Auf jeden Fall ist mir von den Lehrdozenten noch Dr. Eicke in Erinnerung, der über diese Grundstörungen und über Psychosenforschung sprach und schrieb, aber extrem vorspringende und wohl hochgradig kurzsichtige Augen mit fünf-fach dicker Brille besaß. Er machte dadurch auch einem mit mir befreundeten Rechtsanwalt, der im gleichen Hause wie Dr. Eicke wohnte, einen so gestörten Eindruck, dass dieser ihn selber für psychotisch hielt. Dr. Eickes Spezialität war nicht nur die Psychosenforschung sondern vor allem die Aggression, was mir – unabhängig von seinen Augen – schon etwas Angst machte. Na-türlich war diese Angst eine solche vor meinen eigenen Aggressionen, und heute würde ich eigentlich gerne mit Dr. Eicke über alles sprechen. Doch er ist schon längst tot, starb 2004 und hatte 25 Jahre zuvor einen schweren Autounfall, der seine körperliche Konstitution noch weiter entstellte und sein berufliches Forscherleben fast unmöglich machte. Trotzdem denke ich, war ich berechtigt, damals und vielleicht auch heute noch von einem Lehranalytiker ein bisschen eine gewisse ausstrahlende Persönlichkeitswirkung und Integrität erhoffen zu können. Kirpal Singh war genau das.


Damit fange ich an, das grundlegende Dilemma zwischen meditativen und analytischen psychologischen Methoden etwas zu beschreiben. Bekanntlich überträgt der Patient in der psychoanalytischen Therapie Bedeutungen inadäquater oder verjährter Art auf den Analytiker, worauf sich oft eine Gegenreaktion bei dem selbigen einstellt, die man dann Gegenübertragung nennt. Während die Übertragung als neuroti-scher und fehlgeleiteter Vorgang aufgelöst werden muss, sind diese Gegenübertragungen und auch andere Aspekte der klassischen Psychoanalyse oft störend. Ich hatte dadurch das Gefühl, dass der übliche Vorgang in der Therapie, nämlich die Übertragung auflösen zu müssen, nicht der einzige Weg der Klärung und Läuterung sein müsste. Selbstverständlich müssen inadäquate, aus verjährten oder andersweitigen Beziehungen und Bedeutungen stammende Übertragungen aufgelöst werden. Aber wäre es gut, wenn man überhaupt keine Übertragungen mehr hätte, weil alle aufgelöst sind? Diese Frage hat noch niemand gestellt.


Vielleicht ist sie auch inadäquat, weil dies ohnehin nie passiert. Freud sprach von der „unendlichen Analyse“, denn solange der Patient etwas zum Analytiker zu sagen hat, gibt es noch Übertragung und ist die Analyse nicht beendet. Das Ende einer analytischen Behandlung ist daher schwer zu definieren und meistens wird irgendeine Übereinstimmung zwischen Analytiker und Patient gefunden, die Therapie beenden zu können. Auf jeden Fall habe ich auch nach Abschluss meiner psychoanalytischen Ausbildung den Surat Shabd Yoga weiter betrieben. Mit anderen Worten: ich machte nunmehr meine Therapien und ging selbst bei mir in die yogische Analyse. Ich ging auch zweimal noch zur Supervision bei meinem und einem anderen Lehranalytiker, tauchte aber jeden Tag auch für eine kurze Zeit in das Dunkel der Ur-Übertragung beim Surat Shabd Yoga ein.


Ich nenne die Übertragung, die sich an das Dunkel, an das Nichts und Nirgends bei der Meditation richtet, eine Ur-Übertragung. Ich tue dies in Parallele zu dem Freudschen Begriff der Ur-Verdrängung. Um die übliche Verdrängung zu verstehen, postulierte Freud eine vorgelagerte Form direkter psychischer „Gegenbesetzungen“, die Ur-Verdrängung eben. Für den klassischen Psychoanalytiker wird es daher unverständlich klingen, wenn man sagt, man könne in einen direkten Bezug zu dieser Ur-Verdrängung kommen, gerade und insbesondere dadurch, dass man in die Ur-Übertragung eintritt. Ein direkter Bezug zur Ur-Verdrängung hieße total gespalten zu sein. Man wäre sein eigenes Ich und Gegenich, also in einem jetzt etwas pauschal formulierten Begriff: schizophren. Die Spaltung gilt zwar auch als üblicher Abwehrmechanismus bei Neurosen und Persönlichkeitsstörungen, aber hier bezieht sich dieser Begriff mehr auf eine Art Abspaltung. Man spaltet Teile seiner Psyche, psychische Partialobjekte, von sich ab. Dabei bleibt das Ich noch relativ, noch minimal intakt.


Die Ur-Übertragung erinnert auch etwas an die sogenannte „wilde Übertragung“ oder auch an die Übertragung außerhalb der Analyse. Hier sitzt einem kein physisch präsenter Analytiker gegenüber. Andere Menschen, andere Situationen und Ereignisse sind dann im Spiel. Viele Menschen träumen einmal oder auch mehrmals davon, einem Staatspräsidenten oder sonst einer hoch angesehenen Person des kulturellen Lebens zu begegnen. Auch hier handelt es sich wohl um solche außergewöhnlichen Übertragungen, die anders zu handgaben sind und vielleicht auch nie aufgelöst werden können. Schon beim sogenannten Initialtraum spielt eine derartige wilde Übertragung eine Rolle. Es handelt sich um den Traum, den man oft am Beginn, ja schon beim Entschluss in eine Psychoanalyse zu gehen, hat. Ich hatte in Bezug auf Kirpal Singh ebenfalls einen Initialtraum, der eine „archaische Übertragung“ beinhaltete.


Ich befand mich als etwa siebenjähriger Junge in einer riesengroßen Kirche, in der sich vielleicht tausend Leute befanden. Meine Mutter stand neben mir, das Dach der Kirche war zum großen teil nach oben hin offen und ziemlich weit oben auf einen Kronleuchter saß eine menschliche Gestalt, die zu den Leuten sprach. Aus dem Mund dieser Gestalt kamen jedoch kaum hörbare Worte sondern strahlende Funken, die in weitem Bogen herunter fielen und immer dann, wenn sie etwa vor mir auf dem Boden aufkamen eine kleine Tiergestalt (Marder, Eidechse und Ähnliches) entspringen ließen, die wegsprangen. Die aus dem Boden vor mir wegspringenden Tiergestalten machten mir etwas Angst. Ich sah dann, wie die menschliche Gestalt schließlich von dem Kronleuchter an einem Seit entlang herunterstieg. Hatte sie nicht einen Tierfuß? Sie ging an mir vorbei, lächelte und ver-schwand.


Klar, die Gestalt hatte etwas mit meinem Vater zu tun, aber auch mit dem Ur-Vater Kirpal Singh. Ich hatte kein Verhältnis zur Kirche mehr, war dort ausgetreten und konnte mit Theologie nicht viel anfangen. Doch diese „archaische Übertragung“ versetzte mich ins Mittelalter zurück, in der die Kirche noch einen monumentalen Einfluss besaß, mächtig und groß war. Aus dem Mund sprühende Funken-Worte, die gleichzeitig Leben entspringen lassen konnten, waren mir aus dem Yoga als „Bija“ (Wort- oder Silben-Samen) bekannt. Auch Moses muss so etwas bei der Szene mit dem brennenden Dornbusch erfahren haben, als eine Stimme aus dem Feuer heraustönte. Und so etwas gibt es auch in der Psychoanalyse Lacans: der psychoanalytische Akt vor allem kulminierend in seiner Deutung ist bei Lacan so etwas wie eine Wort-Zeugung. Es sind die „défilés logiques“ oder „défilés du signifiant“ (logische Engführungen oder Engführungen des Signifikanten), die ein Strahlen und ein Sprechen gleichermaßen in sich haben. In vielen Mythen und mystischen Bildern kennen wir Derartiges, das eindrucksvoll aber auch letztlich rätselhaft ist.


Zudem fühlte ich mich an die mittelalterlichen Schilderungen erinnert, in denen erst der Gott-Mensch oben im Licht und dann als abstürzender Erd-Mensch mit Tierfuß dargestellt ist. Die Väter sind nicht nur Lichtgestalten, sie haben auch einen Pferdefuß, einen Makel. Sie sind im symbolischen Sinne, im Signifikanten kastriert, wie Lacan betont. Man muss selbst seinen Weg machen, der Vater, der Analytiker, der Heilige können einen nur ein Stück begleiten. Sie scheinen wortgewaltig zu sein, Funken-Worte zu sprühen, aber wir müssen selbst unser Wort machen. Wir müssen der sein, der wir sprechend sind, sein wie wir bei anderen im Wort sind. Wir müssen zu uns als im Wort stehen, als im Bezeichnenden, signifikant Zutreffenden, als in Rede und Antwort Stehende, als „Wortende und Gewortete“ um es etwas kühn meditativ-metaphorisch auszudrücken. Sein oder Samen und Wort, keines besitzt Priorität, und so muss man beides gleichzeitig be-tonen.


Lacan drückte diesen Zusammenhang einmal so aus: „Das sexuelle Genießen ist das, was insgesamt herangebracht wird durch die sèmes (Zeichen der Semiotiker, aber auch Anspielung an semence, Samen) . . . . ich setze es als äquivalent mit dem Semiotischen, . . denn es ist grotesk, es mit dem männlichen Organ gleichzusetzen. Denn das Phallische ist genau so wie das Semiotische imaginiert, wo das Zeichen (sème) Teil anderer séme der Sprache ist, ist das Phallische Teil anderer Genießen, die man sich ebenfalls leicht imaginieren kann: einen Arm zu heben, zu laufen, Gymnastik zu machen. . . Es ist kurios, dass um dieses (männliche) Organ ein privilegiertes Genießen entstehen soll. Was uns die analytische Erfahrung zeigt ist, dass . . . im phallischen Zeichen immer nur vom Sex geredet wird, aber er findet darin gar nicht statt! Das séme Phallus reflektiert keinen sexuellen Sinn, sondern ersetzt ihn nur!“ Na ja, so ein Text liegt nicht jedem.


Neuanfang mit dem Autogenen Training


Ich kehre noch einmal kurz zurück. In seiner Unterstufe beruht das autogene Training auf Übungen, die sich am Körpergefühl, Körperbild, an körperlichen physiologischen Prozessen orientieren wie z. B. der Atmung - eine in sehr vielen Meditationsformen angewandte Methode. Das Wesen dieser Übungen wurde durch statistische Auswertung von Befragungen Hypnotisierter gewonnen. Es führt zu einer allgemeinen Entspannung, die in dem Zustand einer „vegetativen Umschaltung“ oder einer „Organismischen Umschaltung“ gipfeln soll. Meistens sind aber die Übungen der Unter- bzw. Grundstufe nicht ausreichend, um wirklich eine derartige „Umschaltung“ im Nervensystem zu vollziehen. Der Grund ist mittels der Psychoanalyse einfach zu er-klären: In der Grundstufe achtet man auf verschiedene Körpersysteme und begleitet diese Achtung mit bestimmten gedanklichen Formulierungen. So wird das Muskelsystem als „durchströmt“, der Kopf als „kühl“, die Atmung als „ruhig“, das Herz als „kräftig“ und der Bauch als „angenehm warm“ meditiert. Aber für den Unterleib hat man natürlich keine Formel, was durchaus verstehbar ist. Denn sowohl „angenehm“ wie „befriedet“ oder was auch immer wären heikle Worte und so etwas wie „ruhig“ würde den Kastrationskomplex endgültig verfestigen. Für den Unterleib und das Sexuelle kann man einfach keine formelartige Formulierung finden, eine solche müsste man ver-drängen. Man hat daher eine zusätzliche Anleitung, die Oberstufe des autogenen Trainings, geschaffen, in der die einzelnen Übungen aus beschreibenden, inneren (z. B. Bildersehen) Einstellungen bestehen, um auf diese Weise hinter die unbewussten Empfindungen zu gelangen, die von der Unterstufe nicht erreicht werden.


Die Anweisungen in der Oberstufe sind also vorwiegend auf das Optische ausgerichtet. Der Arzt und Psychoanalytiker K. Rosa hat versucht psychoanalytisches Gedankengut in die Oberstufe des autogenen Trainings mit hineinzunehmen, ein Ansatz, der heute von vielen Lehrern dieser Methode benutzt wird. Doch bei allen Autoren wird dazu als „Einstieg“ nichts anderes als „Farbensehen“ oder „Objektvorstellungen“ empfohlen, Übungen, die zuerst einmal nichts mit dem wirklich subjektbezogenen Erleben und Erfahren des einzelnen Individuums zu tun haben . Denn warum fängt man z. B. nicht mit Musik an? Warum nicht mit Geschmacks- oder Tastempfindungen? Das imaginative Bildersehen wird von Rosa dann anschließend psychoanalytisch bearbeitet und gedeutet. Auch in allen anderen Bücher über die Oberstufe findet sich kein neutraler Anfang, so wie er in der Psychoanalyse wenigstens weitgehendst gestaltet wird, indem dem in die Methode Einsteigenden empfohlen wird, „alles zu sagen, was ihm in den Sinn kommt.“ Wie auch bei fast allen Meditationsverfahren wird der „Einstieg“ in die Oberstufe jedoch durch etwas vermittelt, das dem Lehrer, dem Vermittler in den Sinn kommt, also geradezu das umgekehrte Vorgehen. So ist auch auffallend, dass z. B. das Sexuelle in den Büchern über das autogene Training überhaupt nicht erwähnt wird.


Was für den einen das richtige Wort sein kann, ist für den anderen genau das falsche. Eine definitive Aussage aus dem Unbewussten, wie Rosa behauptet, kommt nicht zustande. Man hat bei allen Autoren über das autogene Training und speziell dessen Oberstufe den Eindruck, dass etwas sehr Schönes, eher allgemein Andächtiges gesagt wird, das mit der wahren Psychodynamik des Übenden nicht unbedingt etwas zu tun hat. All diese Probleme werden in der Analytischen Psychokatharsis vermieden, weil die FORMEL-WORTE, die als „Einstieg“ dienen, keine derart definitive vorgefasste Aussage haben, obwohl doch eine Mehrheit von Aussagen in ihnen steckt.


K. Thomas, ein Schüler des autogenen-Training-Begründers I.H. Schulz versuchte die Problematik der mangelnden „Umschaltungs“- und umfassenderen Enthüllungs-Erfahrung dadurch zu umgehen, dass er eine Einteilung durch Differenzierung von Bewusstseinszuständen in unter- über- und außerwache vornahm, wobei er die letzteren noch in pathologische und gesund-physiologische unterteilte. Der Begriff der „Wachheit“ aber, fachlich würde man sagen der „Vigilanz“, der allem zugrunde liegt, wird überhaupt nicht geklärt. Geht es in der Meditation überhaupt um Wachheit oder mehr ums Unbewusste, was sich fast zu widersprechen scheint, oder geht es vielleicht nur um das, was anders bewusst, anders „wach“, „bewusst“ wird (als symbolisch Andere(r)(s))? Ich schreibe dies mit großem A, weil der oder das Andere(r) nur durch und als Sprache, durch Symbolisches und nicht mehr einfach als Objekthaftes bezeichnet werden kann.


War es bei der Hypnose also die Manipulation durch Stimme, Vorgaben, Person des Therapeuten etc., die diese Methode als ungeeignet erscheinen ließen, sind es beim autogenen Training subtilere Vorgaben. Oder es sind wie bei H. Kraft „abstinent“, „autogene“ Nichtvorgaben, die sich beim genaueren Hinsehen dann jedoch auch wieder als Vorgaben entlarven. Denn auch Kraft versucht als Analytiker möglichst nichts Suggestives in das Verfahren einzubringen, lässt aber die Probanden dennoch anfänglich ein Stimmungsbild und einen entsprechendes Stimmungswort aufzeichnen und beginnt die Sitzung ebenfalls damit, vor einem weißen Hintergrund ein Bild aufsteigen zu las-sen. Warum soll nicht eine Silbe, Schriftzeichen, ein Wort auftau-chen? Kraft versucht derartige andere Erfahrungen durch die dann nachgeholten Assoziationen in der Übungsgruppe unter der Leitung eines Analytikers zu ergänzen. Doch gilt für Kraft letztendlich auch eine sogenannte „spirituelle Erfahrung“ als wesentlich und wahr und damit verlässt er eine wissenschaftliche psychologische oder psychoanalytische Ebene.7 S. 171


Religiöse und „spirituelle“ Verfahren


Auf diese Verfahren, die ich ja gerade als vom eigentlichen wissenschaftlichen Vorgehen abgehoben, überrational und spekulativ eingeordnet habe, kann ich hier nicht ausführlich eingehen. In meinem Buch „Analytische Psychokatharsis“ habe ich reichlich Bezug dazu genommen. Diesen Verfahren fehlt eine wirklich wissenschaftliche, insbesondere konjekturalwissenschaftliche Grundlage. Nur ein sehr differenzierter Gottesbegriff kann bezüglich der in dieser Abhandlung vertretenen Intention noch Gültigkeit haben. „Gott ist unbewusst“ und „Gott ist ein Körper ohne Gestalt“ sind Aussagen J. Lacans zu diesem Thema. Mit aus diesem Grunde habe ich im Titel ein eR S´ da als ein rr ist da, er ist da, es ist da, offen gelassen im Sinne eines letztlich vom Übenden selbst zu Benenneden. Hier hilft ihm allerdings in der Analytischen Psychokatharsis dann ein PASSWORT, das selbstverständlich dann eine Identität viel leichter finden lässt.
Psychoanalyse
Mit der Psychoanalyse kehre ich wieder zum ursprünglichen Wissenschaftsanspruch zurück, mit dem ich in die Universität als Student bei Prof. Seitz eingetreten bin. Doch wie bereits erwähnt, hat erst Lacan die Höhe und Präzision Freuds wieder erreicht. Meine Ausbildung, die noch unter den mittelmäßigen Freud-Epigonen stattfand, konnte die eigentlich gesuchte Wissenschaftlichkeit nicht bieten. Die Ausbilder waren gut, aber eben reine Epigonen, ohne wirklich eigenes Neues, Transsubstanziiertes. Lacans Fortschritt in der Interpretation und Nachfolge Freuds war sein Bezug zur Sprachwissenschaft. Diese Wissenschaft versucht sprechend, also die Sprache benutzend, die selbige nunmehr hintenherum wissenschaftlich zu begründen. Das ist natürlich ein Unsinn, und Lacan entnahm ihr daher nur den Begriff des Signifikanten, der nicht mehr ein objektives Zeichen ist, ein sprachwissenschaftliches Fixum, sondern Zeichen eines Subjekts, ein Bedeutungszeichen, signifikant eben. Für Lacan war die Linguistik eine im universitären scholastischen Wissen steckenbleibende Wissenschaft, die das Subjekt nicht richtig in den Wissenschaftsdiskurs einbezog. Die Psychoanalyse dagegen ist eine Wissenschaft v o m Subjekt, eine Konjekturalwissenschaft, in der Vermutungen nach und nach ob-jektiviert werden, bis das Subjekt wirklich zu seiner endgültigen Signifikanz gereift ist.


Für Lacan repräsentierte daher ein Signifikant ein Subjekt für einen anderen Signifikanten. Der „Mann“ kann für die „Frau“ - und auch umgekehrt - ein Subjekt repräsentieren, und beide müssen solange hin- und her diskursieren, bis das eigentliche menschliche Beziehungs-Subjekt gefunden ist. Damit war eine geradezu mathematische Grundlage für die Psychoanalyse als Konjekturalwissenschaft gelegt. Denn vom Signifikanten war der Weg zur Mathematik nicht schwer. Schließlich repräsentiert eine Eins eine Null für eine andere Eins, was also dasselbe aussagt. Psychoanalytiker und Patient repräsentieren sich gegenseitig durch einen rein durch die Beziehung erwirkten Null – Eins – Abstand. Es wird nicht mehr sprechend wie bei den Linguisten die Sprache objektiviert, sondern durch einen Signifikanten–Austausch das Subjekt.


Das klingt alles etwas kühn. Aber für eine ganz kurze Einführung in Lacans Psychoanalyse kann man nicht viel anders vorgehen. Erst durch meinen letzten Schritt, den mit dem ich die Analytische Psychokatharsis inauguriere, werden diese rätselhaften Sätze klar werden. Ich muss es vorerst so stehen lassen. Auf jeden Fall habe ich klar legen können, dass die Wissenschaftlichkeit in der Psychoanalyse – speziell in der J. Lacans – höhergradig entwickelt und besser formuliert ist. Es gibt trotzdem noch einen Haken in der ganzen Sache. Sie betrifft die Praxis. Dieser Signifikanten-Austausch, dieses Finden des menschlichen Beziehungs-Subjekts, diese Präzisierung des Null-Eins – Abstandes zwischen zwei Menschen als Ausdruck ihrer wirklichen Gemeinschaft, ihrer letztlichen Identität, ist in der Psychoanalyse gut theoretisiert, aber in der Praxis sieht es meist etwas anders aus.


So ist die „freie Assoziation“ des Patienten in der Therapie meist nie so frei wie sie sein sollte. Wir Menschen sind einfach zu sehr auf das Bewusstsein und das bewusste, rationale Argumentieren und Denken fixiert, als dass sie so einfach Irrationales zur Sprache bringen können. Auch ist die „gleichschwebende Aufmerksamkeit“ des Analytikers, mit der er das Unbewusste seines Gegenübers erspüren soll, nicht immer so ausgeprägt. Zudem stören die Gegenübertragung des Analytikers und viele äußerliche Aspekte (reale Situation vor und nach der eigentlichen Therapiestunde, Haltung, Atmung, Stimme des Therapeuten und selbstverständlich die heutzutage noch viel verzwickteren Widerstände des Patienten gegen die therapeutische Aufdeckung) das psychoanalytische Vorgehen. Häufig kommt es zum Therapieabbruch mit aggressiven Regungen gegen den Analytiker, was man „negative Übertragung“ nennt. Damit kann ich nun überleiten, warum ich die Analytische Psychokatharsis entwickelt habe und sie für eine Weiterentwicklung der Psychoanalyse halte.


Analytische Psychokatharsis


Wie im Teil I der „Körperlich kranken Seele“ beschrieben, übernahm ich von der Psychoanalyse deren grundlegendes Trieb-Struktur-Konzept. Nach Lacan gibt es im Menschen vor allem zwei Grundtriebe, den Wahrnehmungs- bzw. Schautrieb und den Entäußerungs- bzw. Sprechtrieb. Der Trieb ist eine konstante Kraft, sagte Freud, die jedoch „großartig in ihrer Unbestimmtheit“ sein kann. Somit schwankte das Freud´sche Konzept zwischen mehr biologischen Kräften und mehr mythischen hin und her. Lacans Konzept ist daher ein Fortschritt, der neuerdings ja auch von den Naturwissenschaften wie insbesondere von der Physik gestützt wird, Auch für die Physiker sind die letzten Kräfte praktisch nicht experimentell nachzuweisen. Sie sind vielleicht nicht „großartig in ihrer Unbestimmtheit“, aber fast könnte man es auch physikalisch so sagen. Ich habe ausführlich in meinem Buch „Nach Lacan, eine psychoanalytische Stringtheorie“ darauf Bezug genommen.


Physikalisch verhält es sich nämlich so, dass die „offenen Strings“ die gesamten Elementarteilchen in ihrer Masse und Energie abbilden, die „geschlossenen Strings“ dagegen die Gravitation. Trotz Vereinheitlichung aller Kräfte in der Form der Strings, gibt es also doch zwei Grundkräfte oder -Prinzipien, die mit- und gegeneinander wirken. Das ist alles hoch interessant und auch gut belegt. Aber welche Relevanz hat es für den Einzelnen? Kann er etwas daraus für sich lernen, kann er Hilfe oder gar Heilung für seine Probleme durch diese physikalischen Neuheiten finden? Schon mit Einsteins Relativitätstheorie ist niemand wirklich erfahrener, reifer und wesentlicher geworden. Die Relativitätstheorie ist einfach eine theoretische Großartigkeit, die wirklich reale Vorgänge im Universum beschreibt, aber was hat sie darüber hinaus für einen Sinn? Das einzige, was wir tun können, besteht darin diese zwei Prinzipien (Elementarteilchen / Gravitation, Quantenphysik / Relativitätstheorie) zu meditieren. Denn irgendwie muss ja hinter der Zweiheit eine wohl nur subjektbezogene Erfahrung, eine virtuelle Erkenntnis der Einheit als solcher stehen.


Zweiheit und Einheit


Die Psychologen C. Naranjo und R. Ornstein behaupteten diese Einheit zeigen zu können. Sie beschreiben, was „die Einheit der Haltung der verschiedenartigsten Meditationswege . . . jenseits der verschiedenen Ausdrucksformen ist . . . und zwar nicht entsprechend ihrer kulturellen Herkunft, sondern entsprechend ihrer psychologischen Natur“. Auch sie wollen die Zweiheit überwinden und zur Eis als solcher kommen. Sie gelangen zu dem Resultat, dass Meditation eine Art von „Nichtanhangen, Ruhe und Reinheit“ ist, ein „negativer Weg“, wo der „Meditierende den Bewusstseinsstrom beobachtet, ohne in ihn einzugreifen. . . Er muss in der Lage sein, seine ganze Bewusstseinssubstanz zusammenzufassen und auf das Jetzt einwirken zu lassen“. Naranjo schildert das Beispiel des Zenmeisters Suzuki, der einen Einführungsvortrag damit ausfüllte, dass er eine einfache Sitzhaltung erklärte und dann eine ganze Stunde lang bis zum Ende nichts mehr sagte. „Nur zu sitzen“ war alles. Möglichst wenig sagen, nur Bilder wirken lassen, soll heißen, dass die Bilder in der Meditation von sich aus alles sagen werden, ja sie werden sogar sagen, was das Sagen ist.


Aber mit dem Fast-Nichts allein kann man schlecht etwas einführen. So faszinierend der Trick mit dem Erklären der Sitzhaltung und anschließendem Schweigen ist, er ist auch recht provokativ. Bei Suzukis Vortrag sind jedenfalls die meisten nach und nach hinausgegangen. So ideal dieses „Nur-Sitzen“ ist, es handelt sich - so gezeigt - um etwas, das wir auch sonst im Alltag oft tun und wobei wir daher nicht verstehen können, was der Guru plötzlich damit Besonderes meint. Die Leute sind zu Recht hinausgegangen, denn sie mussten sich sagen: das verstehen wir nicht, das ist zu simpel und lieblos ausgedrückt oder das ist banal. Hier fehlt die formelhafte Präzision der sonst ja bei diesen Meditationsformen meist so beschworenen Liebe! Hier wird nicht klar und exakt erfahrbar, inwiefern der Guru, der große Andere, uns in seiner Liebe einschließt auf topologischen, signifikanten, präzise nachzeichenbaren Bahnen! Wenn er es uns wenigstens in seinem Blick, in seinem „Darshan“ gezeigt hätte, so dass wir eine unmittelbare Erfahrung hätten, wäre dies etwas anderes. Selbst in der Kunst, in der Malerei beispielsweise wird dies gefordert, was der Maler R. S. Matta die „mathematic sensible“ nannte, die Fühl-Mathematik seiner Malerei. Farben auf die Leinwand aufbringen ist noch keine Garantie für wirkliche Malerei. Es gehört noch etwas dazu, das trotz aller Intuition, die für den Künstler sicher das Wichtigste ist, auch noch ein Wissen darstellt.


Die Kunstmaler wissen nämlich sehr wohl, was und wie z. B. andere Maler ihrer Zeit malen. Oft tun sie sich ja zusammen in einer Künstlerkolonie, oft geht der Maler erst in die Lehre bei einem andern großen und schon bekannten Künstler. Auch studiert jeder Maler, wie man früher gemalt hat. Er ist also auch ein bisschen Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler. Der Andere ist für ihn der Ruf immer wieder neu zu malen, bis jenes Bild gemalt ist, von dem er sagen könnte, dass es das letzte und höchste seiner Kunst ist, das ultimative Bild, in dem er auch sein Innerstes bis zum Äußersten seiner Farb- und Formkombinationen gemalt hat.


Das Bildhafte und das Worthafte müssen durch das, was ich mit Lacan den großen Anderen genannt habe, den Anderen als solchen, präzise verbunden werden. Wie aber soll man jener Andere sein, wenn man doch erst einmal nur der Eine ist, als Ich, als Ego? In der Analyse repräsentiert der Analytiker den Anderen und versucht durch Deutungen, die aus vielen Analysen und einer langwierigen psychoanalytischen Begriffsverifizierung gewonnen sind, eine Auflösung dieser Differenz zu erreichen. Man könnte sagen, Suzuki und Naranjo haben es richtig gewusst, um was es geht, aber schlecht gesagt (Suzuki sagte zu wenig, zu lieblos, Naranjo, der ausführlich alle Meditationsverfahren kommentiert, einfach zu viel, zu umständlich). Suzuki setzt schon zu stark voraus, dass alle wissen, was Meditation ist, und deswegen setzt er sich einfach nur hin, während Naranjos ganzes Bemühen nur darauf hinausläuft, für das Wort Meditation immer wieder ein anderes, das besser erklärend sein soll (dies aber letztlich nicht ist), einzuführen. Wir brauchen also tatsächlich von diesem Vorgang der seelischen Vertiefung ein wissenschaftliches Sprechen, das letztlich, weil es nur noch Formulierungsformel selbst ist, beides (Meditation / Wissenschaft) in gleichem Ausmaße verwirklicht.


Denn sowohl Suzuki wie Naranjo, beide gehen mit dem Wissen um, als sei es nur ihr eigenes, als müsste man es nicht so vermitteln, dass es - wie bei Sokrates - wenigstens so aussieht, als sei es das Wissen aller! Wenn das Offenbarungswissen in den Religionen heutzutage so schlecht funktioniert, dann deswegen, weil es nur einer wusste und er es schon damals nicht mehr den anderen als das gleiche Offenbarungswissen so genau vermitteln konnte, dass die späteren Nachfolger exakt so wirkten, wie der Gründer. Zumindest nicht mit Worten und Bildern zugleich! Aber selbst wenn jemand durch Meditation oder Studium der Texte das Wissen hatte, konnte es nichts nützen, wenn er es nicht über den Text – Sinn - Zusammenhang hinaus bringen konnte, in das Darüberhinaus, wo die wirklich anderen standen. Das „für die Meditation spezifische Wissen“ muss man freilich meditativ beibringen, d.h. mit fast keinen Worten, mit möglichst wenig Worten und wenn, dann nur mit solchen, die das Wissen verraten. Man kann also nicht hintenherum ein Sagen meditieren, zu dem man vorne herum Meditieren sagt! Man bleibt so nur im primitiven Wissen stecken. Wir aber wollen zu komplexerem Wissen, wo man mitten im Meditieren selbst sich jederzeit die Frage stellen kann: was weiß ich hier und jetzt von dem, was ich meditierend tue. Wo spreche ich im Namen des Anderen und benutze doch meine Worte. Irgendwie und -wo ist Meditation und insbesondere die Analytische Psychokatharsis auch Selbst-Analyse.


Die Praxis der Analytischen Psychokatharsis


Das Problem der Zweiheit und Einheit besteht also weiterhin. Keine Wissenschaft aber auch sonst keine Methode kann sie für uns lösen. Ich bleibe daher bei der von Freud und Lacan entwickelten Zweiheit von Prinzipien oder Trieb-Kräften, die sie wie oben erwähnt Schau- und Sprechtrieb genannt haben. Ich habe diese beiden Grundkräfte auch ein ES STRAHLT und ES SPRICHT genannt, weil dies noch grundlegender und umfassender das Wesen dieser primären Zweiheit beschreibt. Und zudem lässt sich damit die Methode der Analytischen Psychokatharsis aufbauen. So um das Jahr 1990 herum ist mir aufgefallen, dass die Sanskritnamen, die man im Surat Shabd Yoga benutzt eine Ähnlichkeit haben mit den Lacan´schen Signifikanten, mit den „défilés logiques“, den logischen, worthaften Engführungen, durch die das Wesentliche des Unbewussten hindurch muss, wenn es bewusst werden soll. Der Sanskritname „Sat Naam“ war mehrdeutig und vielschichtig. Der Wortstamm Naam ist der gleiche wie im Deutschen Name, lateinisch nomen, altindisch nama, er ist auch fast in allen Sprachen, auch im Finnisch-Ugrischen vorhanden, „so dass hier wohl ein sehr altes Wort vorliegt“. Zudem hat dieses „Wort“ in den verschiedenen Sprachen, aber auch innerhalb des Indischen zahlreiche andere Bedeutungen: Name, Wort, Bezeichnung, Geist, Gott etc. Das gleiche gilt für die Vokabel Sat, das Sein, Wesen, Sünde, altindisch „sitzt“ etc. bedeuten kann und auch mit dem lateinischen satis, deutsch satt, zusammenhängt. Sehr alte und gleichzeitig auch heute noch gültige Wörter sowie Worte, die zahlreiche Bedeutungen tragen, haben immer schon die Forscher beschäftigt. Wie konnte man sich im altindischen Sanskrit verständigen, wenn manche Worte so viele Bedeutungen in einem vereinigten?


Man hat sie meditiert, gedanklich solange wiederholt, bis einem der tiefere und allerletzte Sinn aufging. Nun können wir aber in unserer Kultur nichts mit derartigen Sanskritnamen anfangen, es sei denn wir befassen uns mit Indologie oder Ähnlichem. Ich musste also nach etwas suchen, dass die gleiche Struktur aufwies, aber in unserer Kultur und Wissenschaft Geltung haben kann. Dazu eignete sich zuerst einmal wieder die Psychoanalyse Lacans. Den Kern seiner Lehre hat Lacan oft durch Wortspiele oder Paraphrasen ausgedrückt. So hat er z. B. mit dem Satz „Les noms du père (Die Namen des Vaters), Les non du père (Die Nein des Vaters) und Les non Dupes errent (Die Nicht-Blöden irren),“ eine formelwortartige Dreifach-Formulierung geschaffen. Durch eine Homophonie im Französischen klingen alle drei Aussagen gleich, obwohl sie drei völlig verschiedene und noch dazu sehr originelle Äußerungen beinhalten. Der Aufbau dieses Satzes ist somit wie der eines FORMEL-WORTES mehrdeutig, man kann sich auf keine Bedeutung allein festlegen. Das ödipale Nein, das durch die Vatermetapher gegenüber dem Sohn: rühr die Mutter nicht an, gegeben ist, findet sich hier wieder. Genau so aber auch der Vatername als solcher, wodurch die irren, die glauben, klug zu sein, wenn sie sich nur an diesen Namen klammern: die Weltklugen, die Konserva¬tivistischen, die Traditionalierer. Eine derartige Formel drückt nicht nur das Wesen der Psychoanalyse aus (durch Überdeterminiertheit und eine dreifache Bildhaftigkeit, bzw. Homophonie) es könnte auch für ein Verfahren, wie ich es hier darstelle, geeignet sein. Denn eine solche Formel lässt nicht zu, dass man sich eine Bedeutung herauspickt. Man ist bei einer derartigen Formulierung vielmehr gezwungen, das Bewusstsein immer wieder auf die rein strukturelle FORMEL-WORT-Ebene zu verweisen, die mit der des Unbewussten identisch ist.


Dennoch wäre eine derartige Formulierung für die Analytische Psychokatharsis zu umständlich und wenig hilfreich. Die FORMEL-WORTE, die ich verwende und von denen ich in der „körperlichkranken Seele I“ schon drei dargestellt habe, sind noch kompakter, noch mehrdeutiger und daher noch geeigneter für die Übungen. Denn es soll ja keine der Bedeutungen im Vordergrund stehen, vielmehr soll es gerade die scheinbar überdeterminiert bedeutungslose Formulierung sein, die durch gedankliches Wiederholen das Unbewusste aufrüttelt. Jeder zu vordergründige Sinn ist nur belastend. Wir müssen diesem Sinn dann gedanklich folgen, so dass sich ein neuer produziert, dem wir wieder folgen und folgen müssen. Nichts ist so gut wie in summenden, gedichtartigen Lauten eingefangen zu werden ohne den Sinn verstehen zu müssen. Es muss nur eines gewährleistet sein: dass man damit nicht verdummt. Es muss etwas Herauslösendes, Bestätigendes, Befriedendes an sich haben, das durch einen wissenschaftlichen Hintergrund gewiss und sicher ist.


Die Psychoanalyse war eigentlich dazu gedacht, das Murmeln und Raunen des Unbewussten hören zu können, und um darauf mit einem gleichgearteten sonoren Gedanklichen zurück zu morsen, zu mögen . . . zu . . . irgendwas . . Jeder macht hier etwas eigenes. Die Dinge sind nicht so schwierig. Ich habe in der „körperlich kranken Seele I“ von PASSWORTEN gesprochen. Eben, dieses Gemurmel ergibt ein hin und her Gewoge von Sage und Widerhall und daraus ergibt sich ein viel tieferer Genuss als von all dem, was andere sagen. Das Genießen ist die wahre Religion, sagte Ludwig Marcuse, das Genießreden, der Redegenuss, der Fluss . . .


Ich schildere hier nicht mehr so ausführlich wie die zwei Übungen der Analytischen Psychokatharsis funktionieren, denn wie erwähnt, ist die Praxis wirklich simpel und einfach. Man setzt sich hin und wiederholt langsam und monoton in Gedanken ein paar dieser in Teil I ausführlich dargestellten FORMEL-WORTE, während man gleichzeitig darauf achtet, ob sich in einem etwas wahrnehmen lässt, das den Charakter eines ES STRAHLT hat. Obwohl dieses STRAHLT eines der zwei wesentlichsten Grundkräfte ist, die es überhaupt gibt – ich erkläre jetzt hier nicht mehr erneut die wissenschaftlichen Grundlagen – ist es doch so versteckt, so urverdrängt in uns, dass es einige Zeit und Übung braucht, um es wieder zu entdecken und zu heben. Das Gefühl einer Verschiebung des Raumes, eine Art von Helligkeit, ein „Durchrieseln“ des Körperbildes, alles Mögliche kann sich in diesem STRAHLT ausrücken. Es ist der kathartische Teil des Verfahrens.


Zu den drei bereits bekannten FORMEL-WORTEN möchte ich noch eines hinzu zu fügen: ARE – VID – EOR oder ID - EO – R – AR - EV, egal von welcher Stelle aus man es liest oder wie man es schreibt, es hat stets den gleichen Charakter reiner Bildzeichen, aber gleichzeitig auch den wirklicher Worte! Und genau das war es ja, was bereits im RA-DIC- IT schon dargestellt wurde: Drei oder mehr Worte in einer linearen Formulierung.

REVIDE ORA Schau wieder hin, sprich!
EVIDE ORAR Erkenne daraus: Ich werde gesprochen
VIDE ORA RE Schau, sprich, in Wahrheit!
VI DEORARE Mit Kraft voll sprechen
VIDEO RARE Ich nehme ungewöhnlich wahr
IDEO RARE V Deswegen selten Fünf
DE ORARE VI Vom Sprechen mit Überzeugungskraft
DEO RARE VI Dem Gotte gelegentlich mit Kraft
EO RARE VID(E) Dorthin schau selten!
AREVI DEO R. Ich bin verbrannt durch den Gott R
ORARE VIDE Das Beten (Sprechen) schau an!
A..RE..VIDEOR Ich werde vom ES (STRAHLT / SPRICHT) wahrgenommen

Auch wenn manche Bedeutungen nicht sehr sinnvoll sind – es geht hier nur ums rein Strukturelle, Formale. D. h. Hauptsache ist, es stecken einerseits drei (oder mehr) völlig voneinander verschiedene Bedeutungen darin (im oben genannten Beispiel also zwölf), andererseits ist der Schriftzug als solcher (gerade weil man sich ja auf keine Bedeutung festlegen kann, wenn die Buchstabenfolge im Kreis geschrieben ist) eine reine bildhafte Buchstabenfolge, eine Linienfolge, die eigentlich nichts sagt. Damit folgen wir der psychoanalytischen Wissenschaft genauso wie einer Meditationsformel!

Wenn wir nämlich drei (oder mehr) Bedeutungen in einem Wort, einer zusammenhängenden Formulierung vereint haben, ohne dass eine der drei (oder mehr) bevorzugt ist, dann werden wir, wenn wir diese Dreiheit, diese Triade (wie man in der psychoanalytischen Fachsprache oft sagt) laufend gedanklich wiederholen, uns in jene Triade einschreiben, einflechten, die das Unbewusste ist, die ohnehin schon da ist als Grundkomplex, Grundgestalt, Kristall des Unbewussten. Ich wiederhole hier manches nochmals, ergänze es aber auch. Lacan bezeichnete das Unbewusste auch als „linguistischen Kristall“, und genau so sieht ja auch der Buchstabenkranz aus, kristallin (STRAHLT) und überdeterminierter Ring von Buchstaben (die ich ein ES SPRICHT genannt habe).


Der Sinn und Zweck der Übung besteht nicht darin, sich irgendeine dieser zum Teil eben unsinnigen Bedeutungen zu merken oder dabei zu verharren. Man muss nicht Latein können, um das Ganze zu verstehen, nur rein formal sollte man sich so verhalten, als sei man ein Lateiner: nämlich letztlich sprachlos bleiben vor dem Kreis der vielen Bedeutungen und sich für keine entscheiden dürfen, weil es ja eben jede sein könnte, wüsste man nur, was wirklich gemeint ist. Es ist eben nichts gemeint, die Bedeutungen sind eben mit der größtmöglichen Disparatheit gewählt, damit man sich auf keine festlegen kann. Wichtig ist nur, dass man den Aufbau der FORMEL-WORTE verstanden hat und im Notfall gedanklich darauf zurückgreifen kann, wie und warum die Formulierung so aufgebaut ist. Vielleicht findet jemand noch einen besseren Aufbau, egal, denn es zählt der durch die Mehrheit, Überdeterminiertheit und Ineinander-verschachtelung geformte Ausdruck.


Doch nun nochmals zu der zweiten Übung, bei der also etwas zu Sprechen scheint, sich verlauten lässt (SPRICHT). Auch hinsichtlich dieser symbolischen Ordnung, einer Ordnung, die nichts mit dem Sein, der Materie, der reinen Physis etc., zu tun hat, Folgendes: bereits die „Natur liefert Signifikanten“ (Lacan), nicht objektive Zeichen, sondern Zeichen eines Subjekts, Bedeutungserzeuger, Melder, Mahner, Merker, die in der Hexenküche des Unbewussten manchmal ganze Sätze ausbrüten. Hier ist also wieder das Raunen und Murmeln zu hören, wenn man das Unbewusste durch eine formalisiertes, rein strukturelles Murmeln und Raunen herausfordert, evoziert. Zuerst konzentriert man sich nur auf dieses "Verlauten" (einen Ton z. B. ). Irgendwann wird sich aus diesen Ton etwas ergeben, das Sprachcharakter hat, ein SPRICHT. Und wie im Teil I gebe ich hier wieder ein Beispiel:


Jemand, der die Analytische Psychokatharsis erst seit einiger Zeit übte vernahm plötzlich den „ultrareduzierten“ Gedanken: „die Kreuztabletten“. Er wusste sofort um was es ging. Erstens gibt es viele Tabletten, die eine Kreuzrille haben, so dass man sie vierteln kann. Aber dann ging es auch um das Kreuz mit den Tabletten! Und schließlich fiel ihm auch das Kreuz als christliches Symbol ein. Denn genau das war es, warum er ein Kreuz mit den Tabletten hatte: er wollte ein besonders reines, frei von Chemikalien gestaltetes Leben führen. Doch die Kreuztabletten, die er unbedingt wegen einer schweren Blutdruckerkrankung nehmen musste, hinderten ihn daran. Als er aber aus sich heraus wie eine Mahnung, Meldung, das Wort Kreuztabletten hörte, war dies für ihn wie eine Erleuchtung. Hier war ein „Jemand“ und nicht einfach nur ein Sein, ein Gehirn, ein Körper, der ihm zuraunte: mach dir doch nicht so viel Gedanken um das Kreuz und die Tabletten. Es erging ihm ja so, wie wenn Gott selbst gesprochen hätte, denn wer sollte denn das sein, das in ihm wirklich und grammatikalisch richtig sprechen konnte!? Vielleicht war es nicht der Christengott, vielleicht eben nur der „Gotteskomplex“, ein Begriff, den er als Titel auf einem Buch von H. E. Richter gesehen und in dem er auch gelesen hatte. Vielleicht aber auch nur er selber als Unbewusster. Egal, wie man es oder ihn nennt (daher auch der Titel dieser Broschüre), es geht um die personifizierte Linguistik, ums Tiefenselbst, um die Antwort des Unbewussten auf die ihm letztlich immer irgendwie gestellte Frage: wer bin ich, was soll ich tun? (Kant fügte dem noch ein „was kann ich wissen und was darf ich hoffen“ hinzu).


Hier noch ein anderes Beispiel. Es handelt sich wieder um jemanden, der beim Üben der Analytischen Psychokatharsis wie aus der Tiefe und erst einmal kaum wahrnehmbar den Satz dachte/hörte: „Das kriegen wir im Kinderwagen fest“. Das Wort „fest“ war schon so deutlich, dass er es als den eigenen Gedanken wahrnahm, und erst einen Moment danach fiel ihm ein, dass ja der erwähnte Satz gesprochen/gedacht worden war. So ist es oft bei der zweiten Übung, dass man sich wie in einem Wachtraum befindet. Der Wachtraum ist kein Tagtraum, sondern taucht in einem leicht abgesenkten Bewusstseinszustand auf, der jedoch noch genug Wachheit hat, um wahrgenommen zu werden und gerade durch diese Wahrnehmung ganz ins wieder gehobene Bewusstsein eintritt. Der Wachtraum ist daher sprachnäher als etwa der sogenannte Klartraum („luzider Traum“), bei dem eine eigenartige Bewusstheit besteht, die sich mehr auf das Bildhafte bezieht. Die Nähe zur Sprache mit grammatikalisch richtigem Satzbau und kritischem Denkvermögen besteht nicht.


Natürlich beinhaltet auch der Wachtraum kaum kritisches Denkvermögen, aber in der Analytischen Psychokatharsis ist die Nähe dazu doch so stark, dass die Sätze auch verstandesmäßig erfasst, sofort auf ihre Bedeutung untersucht und persönlich integriert werden können. So natürlich auch bei dem Satz mit dem Kinderwagen. Für einen auch nur gering mit Psychologie vertrauten Menschen ist wohl sofort klar, dass der Satz etwas mit Reminiszenzen aus der Kindheit zu tun hat, vielleicht sogar mit einer etwas rigiden („kriegen wir fest“) Erziehung oder Ähnlichem. So war es auch bei dem betroffenen Denk-Träumer, Traum-Denker, der die Analytische Psychokatharsis übte. Dabei möchte ich nochmals betonen, dass das Wesentliche in der Tatsache besteht, das ein Jemand, ein Etwas aus dem Inneren heraus sich verlauten lässt, was einen enormen psychischen Effekt hat. Oft ist die intellektuelle Deutung gar nicht so wichtig. Irgendwie hat man sofort das Gefühl, dass das Vernommene einen sehr betrifft und angeht und so ein Satz wie „das kriegen wir dann im Kinderwagen fest“ wird dann auch oft wie ein Bonmot, eine humorige Schlüsselphrase verwendet. Die Person, von der dieses Beispiel stammt, hatte bei vielen Gelegenheiten des alltäglichen Lebens, wo es um nicht so ganz durchsichtige Verpflichtungen und Feststellungen ging, dieses Bonmot verwendet. Es wurde fast immer verstanden.


Nicht irgendeine Moral, keine festgelegte Kultur, kein Denkschema vermag solche PASSWORTE wie ich diese Schlüsselsätze auch nenne zu ersetzen. Das Ureigenste spricht aus uns heraus, das ist enorm wichtig. Und es ist natürlich auch etwas ganz anderes, ob es sich chaotisch ausspricht wie in schwerer psychischer Krankheit, oder gelenkt durch ein psycholinguistisches Verfahren, das der Psychoanalyse – insbesondere der nach Lacan – entnommen ist. Solche Enthüllungen wie die der PASSWORTE reizen natürlich immer wieder zu Vergleichen mit den Enthüllungen von sogenannten Offenbarungen. Doch bei den religiösen Offenbarungen spielt selbstverständlich das schon durch besonders starke Bindungen an die Ahnen und deren Gott vorstrukturierte Unbewusste eine große Rolle. In Ergänzung zu der Meinung Freuds, wonach die Religion aus dem Schuldgefühl gegenüber der großen Vaterfigur, die man getötet oder total missachtet hat, entstanden ist, könnte ich mir auch anderes vorstellen.


Es könnte eine übermäßige Bindung und Liebe zu dieser Vaterfigur zu den gleichen Verhältnissen wie der der Religionsentstehung geführt haben. Eine derartige, übermäßig emotionalisierte, psychische Verfassung nennt man in der Psychoanalyse auch eine manische oder submanische Abwehr. Die betreffende Person übersteigert ihre Einstellungen und Gefühle durch ständige Aktionen, Gedanken, Gespräche in die Richtung dieser Figur und muss sich dann nicht mit den kritischen, negativen und abwertenden Phrasen aus dem Unbewussten beschäftigen. Derartige Eindrücke vermittelt ja manche Religion, Kirche, theologische Institution auch heute noch. Gott liebt uns, und damit ist schon alles geklärt. Diese pauschale Verführung ist jedoch eine manische/submanische Abwehr. Deswegen meinte Freud ja auch, Gott sei das Ichideal des Zwangsneurotikers. Die PASSWORTE dagegen sind Offenbarungen auf der Ebene einer alltäglichen und allgemeinverständlichen Psychologie/Psychoanalyse und deswegen nennt man sie besser Enthüllungen aus dem Unbewussten.


Gegenüber den Enthüllungen in der klassischen Psychoanalyse hat die Analytische Psychokatharsis den Vorteil, dass einem ein Umweg erspart bleibt. Der Psychoanalytiker muss seinen Patienten zu einem Sprachfeld, einer Sprachkultur verleiten, in der das sogenannte „infantil Sexuelle“ eine Rolle spielt. Ohne dass er so ein zündendes Element wie die Erregungen, die die frühe Kindheit beherrscht haben, in den Dialog mit einführt, kann er nicht arbeiten. Das ist nicht grundlegend schlecht. Für die herkömmlichen Neurosen (Hysterie und Zwangsneurose z. B. ) ist dieses Vorgehen gut geeignet. Auch in der Analytischen Psychokatharsis wird man seiner Kindheit begegnen, das konnte man ja gerade am Beispiel mit dem Kinderwagen sehen. Und der Affekt der Betroffenheit ist genau so da wie die intellektuelle Verarbeitung. Aber der Umweg über die Sprachkultur, in die auch das Unbewusste des Therapeuten mit eingeht (Gegenübertragung, physisch störende Präsenz etc.), wird vermieden.