Identitäts- bzw. Pass-Worte

In der Methode der Analytischen Psychokatharis stehen sogenannte Identitäts- oder Pass-Worte am Ende der beiden zu absolvierenden Übungen, sie sind das Resultat der sprachlichen Enthüllung und endgültigen intellektuellen Verarbeitung. Schon mit der ersten Übung wird eine deutliche kathartische Erfahrung erreicht, doch dient diese nur dem Einstieg in das weitere Vorgehen, in dem eben durch eine zweite Übung ein sprachliches Ergebnis erfahren werden kann. Da ich in vielen Artikeln und Büchern auf die Gesamtheit des Verfahrens eingegangen bin, will ich hier nur zu diesen so wichtigen Identitäts- bzw.

Pass-Worten Stellung nehmen. Im meditativen Vorgehen dieser zweiten Übung wird empfohlen, sich auf den ‚inneren Laut‘, auf den im Unbewussten beheimateten ‚Ton‘, den – wie ein Wissenschaftsakustiker auch einmal sagte – ‚Klang des Nichts‘ zu konzentrieren. Dabei kommt es an der Stelle einer automatischen Vertiefung, in spontaner, tiefer Kontemplation, zum Auftreten von mehr als nur einem ‚Ton‘ oder ‚Laut‘, sondern auch zum Auftreten von Worten und ganzen, meist jedoch sehr kurzen  Sätzen. Man könnte hier auch von unbewussten Gedanken sprechen, wie es S. Freud selbst getan hat. Doch egal, das Wichtigste ist, wie man dieses Phänomen erklären kann und was es im Endeffekt bedeutet, um zu einer Wissenschaft vom Unbewussten, einer Wissenschaft  v o m  Subjekt zu kommen.[1]

Dazu verwende ich stets gerne Beispiele von Personen, die mit dem Verfahren der Analytischen Psychokatharsis arbeiten. Nun ist mir vor kurzem auch selbst wieder ein derartiges Pass-Wort untergekommen, das recht typisch für diese Ausdrücke aus dem Unbewussten ist. Ich betone zwar immer, dass diese Pass-Worte oft sofort zu verstehen sind, ganz selten sind sie so rätselhaft, wie es die Sprüche der Pythia im antiken Delphi waren, und die erst von Priestern zurecht gedeutet werden mussten. Der Spruch, den ich also in der Meditation hörte, lautete: ‚Ein Fall des Bewegungstippens.‘ Eigenartig! Kurios. Irgendwie interessant aber vielleicht auch nur blödsinnig, dachte ich mir sofort. Aber es war aus mir selbst gekommen, ich hatte es ‚gehört‘, ‚gehörgedacht‘,[2] wenn ich dies einmal so sagen darf, und so etwas verschiebt man nicht gerne wieder ins Negative, ins Abseits. Dies auch schon deswegen nicht, weil Freud meinte, das Unbewusste kennt keine Negation. Es existiert vielleicht eine doppelte Verneinung, die ja letztlich wieder eine Bejahung ist. Doch was sollte mir hier positiv gesagt werden?

Wahrscheinlich ist es in unserer Zeit kein Problem, was unter 'Bewegungstippen' zu verstehen ist. Jedenfalls dachte ich sofort an das heutige ständige Getippe auf ipad und Smartphon. Und dann dachte ich auch - muss ich gestehen - dass das dazugehörige Wort 'Bewegung' vielleicht an einen sexuellen Vorgang erinnern könnte. Ich dachte an die 'Tippse' und die Hin- und Herbewegung des Tippens und dass ich ich ein Fall davon sein könnte, ein Fall notorischen Bewegungstippens. Auch wenn man sich in einer Psychoanalyse dauernd an die Nase fasst, wird einem das als Masturbationsbemühung gedeutet, auch wenn man so etwas gar nicht tut. Aber verdrängt, tief in einem drin, kann es Passendes dazu geben. Ein paar weitere Einfälle, die ich nicht alle erwähnen will, klärten das Ganze noch mehr und bis zur Genüge auf. Genau so etwas passiert auch in der klassischen Psychoanalyse, nur dass es dort länger dauert und meist umständlicher ist, dahin zu kommen.

Obwohl das Unbewusste als etwas deutlich Sprachbezogenes gilt, ist es doch schwierig zu erklären, wie all das, was in ihm verlautet, in bewusst Sprachliches geformt wird. Es drängt nach außen, Lacan spricht diesbezüglich von einem Entäußerungs- oder Sprechtrieb beim Menschen. Der kann sich freilich auch im Schimpfen, in Wut- und Hasstiraden, in Nonsens-Sätzen und in abstrakten Schwafeleien austoben. Der beste Weg jedoch ist der der Enthüllung, der Beziehungssprache, Aussprache, Beichte (übertrieben formuliert). Heute werden keine Ideologien und zu weit ausufernde Philosophien gebraucht. Dichtung und Wahrheit ist gut, aber am besten würde jeder die Worte aus seinem Innersten herausbringen, die für eine Wissenschaft  v o m  Subjekt notwendig sind.

Wir sind alle noch nicht ganz losgelöst vom 'Bewegungstippen', egal ob dies an irgendwelchen Geräten stattfindet oder am sich an die Nase greifen, am sterotypen Witzerzählen oder übertriebenen Fittnessübungen. Auch am hochnäsigen Daherreden von all dem, was man kulturell tut, dass man sich ständig ins Kino, Theater, Konzert, Museum, Ausflüge, Fernreisen usw. bewegt, ist ein Tippen erkennbar. Es gäbe so viel in der Welt zu tun, sich um das Leiden andere zu kümmern z. B., aber wir verharren im alltäglichen 'Bewegunsgtippen', im - wie Lacan es nannte - 'Genießen des Idioten'. Worte aus dem Unbewussten können einen auf andere Gedanken bringen.



[1] Die sogenannten objektiven Wissenschaften klammern sich ans Objekt und lassen das Subjekt Mensch außer acht.

[2] Zu sagen, dass man es ‚hört‘ klingt nach Stimmenhören. So etwas ist es auch manchmal, wobei bekannt sein muss, dass es eben auch absolut nicht krankhaftes Stimmenhören geben kann. Meist ist es bei den Pass-Worten jedoch so, dass man den Zusammenhang zum eigenen Denken noch irgendwie herstellen kann. Es kommt einfach etwas Sprachliches direkt aus dem Unbewussten, wird im letzten Moment von dem, was Freud das Vorbewusste nannte, noch ein wenig beeinflusst, so dass man es sich dann leicht ins ganz Bewusste herholen kann. Oft ist es so, als käme solch ein Gedanke wie von weit oder von ganz aus der Tiefe her. Viele haben so etwas auch schon einmal in den typischen, oft nur ganz kurzen Übergangsphasen beim Einschlafen oder Aufwachen wahrgenommen und es fast im selben Moment wieder vergessen.