Gandhis Weiblichkeit

Auf dieser Webseite und in vielen Büchern habe ich das Thema des Weiblichen wie es in der Psychoanalyse beschrieben wird, anhand meines Verfahrens der mehr meditativ gestalteten Analytischen Psychokatharsis diskutiert. Denn das in der Meditation zu erfahrende kathartische Gefühl hat etwas mit Empfänglichkeit und Geburt zu tun, also wohl Domänen des Weiblichen. Freud hatte sich doch mehrmals so gequält geäußert nach dem, was die eigentlich Frau will, was sie begehrt und nie – selbst nicht von den weiblichen Analytikerinnen –  eine Antwort bekommen. Der Frauenarzt M. Odent beschreibt in seine Büchern die Wichtigkeit der natürlichen und sanften Geburt.[1] Er behauptet sogar, dass

das Ausstoßen des Kindes bei der Geburt der männlichen Ejakulation gleich eine derartige Fortsetzung des Orgasmus bei der Frau ist, für den er auch noch viele andere wellenartige Bewegungen im weiblichen Organismus anführt.[2] Es sind mehr derartige Zuschreibungen, die seiner Ansicht für das Weibliche Geltung haben. Auch Lacan definiert das Weibliche über das wellenartige Kreisen der Libido in der Frau, das es nicht ständig nötig hat wie beim Mann, nach außen hindurch zu brechen.

Man kann in der Meditation also das Weibliche erfahren, die Wellen, wie sie Virginia Woolf sie in ihrem bekannten, gleichnamigen Roman beschreibt. Auch Lacan sagt, dass die weibliche Libido, das Frausein, ganz stark von dem „fließenden Rhythmus“ bewegt wird, dem Fluss der Gezeiten ihrer Fruchtbarkeit und der Schwangerschaften, der Menstruation und der Galaktorrhoe, der Gefühle, der Haut und der sanften Gesten. In den Wellen baden, schaukeln, sich treiben lassen, aber sich auch in den Worten, Vokabeln, in der Wort-Klang-Bildern, den Silben, Syllaben und Signifikanten wie in Wellen durchtanzen lassen  –  im Gespräch natürlich, im umfassend kommunikativen Diskurs, im weiblich gefärbten Austausch.

Mich erinnert dies – da ich ja gerade von Indien schreiben – an Mahatma Gandhis kuriosen Versuch, sich wie zwischen zwei Wellen eine Nacht zwischen zwei nackte Mädchen zu legen, um zu beweisen, dass er abstinent leben kann, indem er keine von beiden auch nur berühren würde. In seinen späten Lebensjahren wurde dies sehr häufig von Gandhi praktiziert und führte zu Konflikten mit den Angehörigen dieser Frauen. Es ist fast imbezil zu glauben, dass mit ein Beweis fürs zölibatäre Verhalten wäre. Es spricht für Gandhis Kindlichkeit, die ja wohl auch für seine Tätigkeit am Spinnrad in hochmoderner Zeit verantwortlich ist. Und es spricht natürlich auch dafür, dass es hier ein Problem a la Freud gegeben hat.

Wie Dostojewski, Luther und viele andere große Persönlichkeiten hatte Gandhi einen Vaterkomplex. Er hat sich sein Leben lang mit Schuldvorwürfen geplagt, dass er beim Tod des Vaters im Nebenzimmer mit seiner Frau munter Sex hatte. Der Psychoanalytiker E. Erikson schreibt in seinem Buch ‚Gandhis Wahrheit‘, dass Gandhis Vater schwach war, dass der Sohn sich ihm gegenüber anbiederte und dass in dieser Weise Gandhis ‚feminine‘ Dienste gegenüber diesem Vater wohl „die Funktion gehabt haben, den knabenhaften Wunsch zu verleugnen, den (alternden) Vater im Besitz der (jungen) Mutter zu ersetzen und die jugendliche Absicht zu verdecken, ihn im späteren Leben als Führer zu übertreffen.“[3] Als man Gandhi rief, sein Vater stürbe gerade, begab er sich zwar schnell ins Nebenzimmer, musste aber erkennen, dass der Tod schon eingetreten war und er, was in Indien noch üblich und wichtig ist, den Segen des Vaters zu erhalten, nicht mehr möglich war.

„Das Motiv: einen von Krankheit und schwäche befallenen (und ambivalent geliebten), überlegenen Gegner zu pflegen, taucht sowohl buchstäblich wie symbolisch in Gandhis späterem Leben wieder auf,“  schreibt Erikson weiter. So diente er in einem Ambulanzkorps der Engländer, obwohl er deren entschiedener Gegner war, und „so finden wir es auch wieder in der Überzeugung des Satyagrahi, dass er im gewaltlosen Kampf aufrichtig um die Seele seines Gegners und die in ihr enthaltene ‚Wahrheit‘ Sorge tragen müsse,“ obwohl all dies später immer mehr zu so etwas wie militanten Passivität und gar zu Erpressung führte, wie z. B. bei dem Versuch, den Massenmord zwischen Hindus und Moslems durch Hungerstreik einzudämmen, wieder einmal – wie schon zigmal zuvor. Den ‚heiligen Mahatma‘ wollte niemand so leicht durch Fasten sterben lassen, obwohl er es doch selbst gewesen ist, der der zu schnell veranlassten Teilung Indiens zugestimmt hatte.

Mehr als zwei Millionen Menschen starben, und zuletzt brachte ihn ein Hindunationalist um, der schon lange erkannte hatte, dass Gandhis Pazifismus gewalttätig war. Das Paranoid-Schizoid-Depressive scheint wohl überall mit im Spiel zu sein und verursachte so auch Gandhis Scheitern. Sein Sekretär und Nachfolger J. Nehru setzte den Nationalismus auch mit vielen Gewaltakten fort, womit auch seine Tochter und in der Folge deren Söhne kein Glück mehr hatten. Aber warum schreibe ich dies alles? Ich greife diese Geschichten nur deswegen wieder auf, um das universelle Wesen der Spaltung zu schildern. Gandhi wollte mütterlicher als eine Frau sein, er wollte überhaupt ein weibliches Wesen sein und vertrat auch das altindische Ideal des Brahmacharya, nachdem Samenentlehrung gleichzusetzen ist mit der Schwächung der Geisteskraft. Aber je mehr er diese Bisexualität in sich aufbaute, desto mehr förderte er die Spaltung in ein weiblich/mütterliches Strahlt und ein männlich/väterliches Spricht.

Damit bin ich wieder bei meinem Thema, indem in den Formel-Worten das Strahlt/Spricht (Kombination des Schau- und Sprechtriebs) einerseits rein formal, rein kombinativ ideal verbunden ist, und andererseits sich ebenso ideal zur Meditation und damit zur Selbsterfahrung, Selbstfindung, Selbsttherapie nutzen lässt. Denn so sehr ich sagen kann, das Weibliche in der Meditation erfahren zu haben, es blieb doch in einem kompaktmeditativen Rahmen. In zwei anderen Büchern habe ich die Methode des indischen Psychoanalytikers G. Bose erwähnt. Bose entwickelte im Gegenzug zu Freuds Definition des Ödipuskomplexes den Komplex der „gegensätzlichen Wünsche“ (opposit wishes) oder Affekte. Der Kastrationsangst des Knaben setzte er zum Beispiel den „unbewussten Wunsch eine Frau zu sein“ gegenüber und dem sogenannten Freud’schen ‚Penisneid‘ der Frau den „unbewussten Wunsch, ein Mann sein zu wollen“.

Diese unbewussten Wünsche mussten dann vom Therapeuten dem Patienten bewusst gemacht und mit der äußerlichen Situation versöhnt werden. Boses Theorie hat sich jedoch in der Praxis nicht durchgesetzt. Bose suggerierte nämlich manchen Patienten diesen unbewussten Wunsch „eine Frau zu sein“ mit betonten Aufforderungen, sich dies in der Phantasie wiederholt vorzustellen. Die Kluft zwischen den Signifikanten, den umfassenden Wesenheiten „Mann“ und „Frau“ ist zu groß, als dass dies einfach durch Suggestion oder eine kurze Analyse bewerkstelligt werden könnte. Diese Manipulationen degradierten seine Wissenschaftlichkeit. Nur durch die strenge Formalisierung in meinem Verfahren der Analytischen Psychokatharsis kann jeder selbst eine Antwort zur Thematik der Bisexualität erfahren.

Auch Gandhi und Bose benutzten eine Anti- oder Gegensprache, wie ich die Formel-Worte in der Analytischen Psychokatharsis auch nenne. Gandhis Satyagraha stellte den Versuch dar, nicht die gleiche aggressive Argumentation zu verwenden, wie sie im Geschäftsleben und in der Politik meist üblich ist. Vielmehr sollte zuerst in passiver Weise gar nicht geantwortet und argumentiert werden. Dieses Nicht-Antworten war eine Gegensprache, die die anderen erstaunte und zu Zugeständnissen zwang. Doch am Ende war Gandhis Werkzeug des passiven Widerstandes letztendlich zur erpresserischen Form der Politik geworden. Er trat ständig in Hungerstreik. Gandhis Weg war von vornherein zu politisch, er hätte den Vater nicht überholen müssen, sondern ihn respektieren, ihn achten, ihm aber auch eigenständig gegenüberstehen sollen. Und so ist auch Boses gegengeschlechtliches Wünschen der Versuch einer Gegensprache, der jedoch viel zu manipulativ ausfiel.



[1] Odent, M., Birth Reburn (1994) und The Scientification of Love (1999)

[2] Odent, M., Die Natur des Orgasmus: Über elementare Erfahrungen becksche reihe (2010)

[3] Erikson, E., Gandhis Wahrheit, suhrkamp (1978) S. 147