Irakbesuch

Vor 46 Jahren fuhr ich mit Freunden in einem alten VW-Bus mit Dachzelt nach Indien. Auf dem Weg dorthin gelangten wir auch in den Irak. Selbst wenn es nun schon lange her ist, dass wir diese alte Kultur zwischen Euphrat und Tigris unbedingt sehen wollten und es heute kaum noch möglich ist, dorthin zu kommen, kann ein kurzer Bericht – hoffe ich - doch etwas Zeitloses von Land und Leuten vermitteln. Wir fuhren vom Iran, von Kermanshah aus nach Bagdad. Es war damals die einzige Straße um zügig in das Zentrum des Landes zu kommen, denn vom Norden her waren die Zugänge gesperrt. Damals gab es dort Auseinandersetzungen mit den Kurden und so konnten wir die großartigen Bauwerke und Skulpturen der assyrischen Zeit, die uns am meisten interessiert hätten, nicht sehen. Jetzt sind sie auch noch von den Rabauken des IS zerstört worden.

Erst kurze Zeit bevor wir ins Land kamen, war die Baath-Partei mit Ahmad Hasan al Bakr an die Macht gekommen, eine den Sunniten nahestehende, eher jedoch panarabische, laizistische, politische Kraft. Wir hatten keine Probleme das Land zu bereisen. In Bagdad bot sich sogleich ein Mann mit emsigen Gehabe an, uns zu einem günstigen Hotel zu führen, schließlich war es in der Stadt nicht so ideal im Bus und Zelt zu kampieren. Am nächsten Tag besuchten wir die Abu Hanifa-Moschee und einige andere Bauwerke wie die Ruine des Bab al-Wastani, ein mittelalterliches Stadttor und den Abbasidenpalast (1179 erbaut, Abb. oben). Die große Abu Hanifa Moschee ist eindrucksvoll, vor allem, wenn sie abends beleuchtet ist. Auch der Abbasidenpalast ist mit seinen Stukkaturen, mäandernden Mustern und seiner Größe eindrucksvoll.
Wieder schlossen sich uns junge Iraker an, die vor uns in einem alten Chevrolet fuchtelnd und lachend Schlangenlinien fuhren, um uns zu den Resten des alten Seleukidenbauwerks vor den Toren Bagdads zu bringen (ich konnte es heute im Internet nicht mehr finden). Abends luden sie uns zu einem Essen am Tigrisufer ein, wo man das Gefühl hatte in der Zeit Harun al Raschids zu leben: farbige Lampions begleiteten das Ufer, überall Grillstände um gebratene Fische zu verkaufen, orientalische Musik und das Flair einer warmen, inspirirenden Nacht. Große bedeutete Ausflugsboote führen den Tigris hinab.
Irgendwann musste einer unserer Begleiter sein Dienst als Polizist antreten. Er zog seine Uniform an und erstarrte plötzlich zur militärischen Marionette. „Ab jetzt kannst du mit ihm nicht mehr reden“, bemerkten lachend die anderen Begleiter. Tags darauf besuchten wir das erst vor ein paar Jahren neu und modern erbaute Iraq-Museum, das unschätzbare Werte der Mesopotamienkultur enthielt. Große Fabelgestalten aus Nimrud und Ninive, Skulpturen, Goldschmuck, Keilschrifttafeln, alles war für die damalige Zeit sehr großzügig und perfekt arrangiert. Leider haben die Amerikaner auf Grund ihres mangelnden Geschichtsbewusstseins die Plünderung des Museums im 2. Irak-Krieg nicht verhindert. Später wurde etliche der gestohlenen Kunstschätze zurückgegeben, da die Plünderer wohl erfahren hatten, dass bekannte Stücke nicht zu ver-kaufen seien.
Zwei Tage später fuhren wir in den Süden nach Babylon. Damals gab es zwar eine große Fläche der Ausgrabungen und ein kleines Museum. Aber die Rekonstruktionen waren nur spärlich. Immerhin konnten wir auf den Grundmauern eines der zwei großen Paläste in der Nähe des Ischtartores auf und ab gehen, und viele Gebäude bis zu zwei Metern Höhe waren zu sehen. Heute ist dort die halbe Stadt wieder rekonstruiert zu bestaunen. Wir konnten den Platz begutachten, an dem sich das Ischtartor befunden hatte und wo die die Prozessionsstraße hindurchging. Das Originaltor befindet sich nach wie vor in Berlin. Auch der Platz und die Mauerreste des Turms zu Babylon beeindruckten. Aber auf den Uferhügeln über dem Euphrat zu sitzen und sich die alten Zeiten vorzustellen war ein noch einmaligeres Erlebnis. Vor dreitausendfünfhundert Jahren gab es hier eine blühende Kultur und hervorragende Bewässerungsanlagen. Nichts war davon mehr übrig geblieben. Die Leute lebten in ziemlicher Armut, es herrschte Wassermangel! Wir campten zwei Tage später in der Nähe von Karbala, wo uns irakische Soldaten einluden mit ihnen Schach zu spielen. Gegen die Nachkommen der Schachspielerfinder konnte ich natürlich nur verlieren. Doch wir hatten wieder Kontakt zu den leutseligen, gastfreundlichen und hilfsbereiten Menschen dieses Landes und tauschten auch ein paar heikle politische Gedanken aus. Tags darauf wurden wir herzlich verabschiedet und mussten unser Auto auf einen flachen Wagen laden lassen, weil der Weg nach Basra durch Überflutungen unpassierbar war. Doch es klappte alles bestens. Wir fuhren eine Nacht durch bis in die Gegend von Nasiriyah. Vor dort aus konnten wir nach Ur fahren, der angeblich ältesten Stadt überhaupt. Gleich war wieder jemand zur Stelle, ließ uns die relativ gut erhaltene bzw. renovierte Zikkurat von Ur, Tempel des Mondgottes (Abb. rechts oben),  besteigen und auch die Ausgrabungen besichtigen. Auch hier ist inzwischen viel mehr rekonstruiert worden, als es damals war. Zur Zeit unseres Besuches war dort kein Mensch zu sehen, der an Ausgrabungen beteiligt gewesen wäre. Wir konnten von den tausenden Tonscherben ein oder zwei mitnehmen, indem wir von der untersten Schicht welche herauskratzten, aber es waren nur kleine unbedeutende Stücke. Was wiederum mehr zählte als alles andere, war das Gefühl urgeschichtlichste Erde betreten und bestaunt zu haben.
Nun konnten wir weiter nach Basra fahren, aber die Straße war nur vorübergehend sichtbar. Doch der Boden war fest und spät abends im Dunklen mussten wir einmal zu einem erleuchteten Haus hinüberlaufen, um zu fragen, ob es hier nach Basra geht. Wieder waren die Leute sehr freundlich, gingen mit uns vor zu der vermeintlichen Hauptstraße und zeigten uns die Richtung. Wir kamen heil in Basra an, besuchten am nächsten Tag den Schatt el Arab, den Zusammenfluss von Euphrat und Tigris, der dort auch die Grenze zwischen Iran und Irak ist. Basra selbst bietet keinen kulturellen Besonderheiten und so fuhren wir am nächsten Tag über den Fluss wieder zurück in den Iran, der an dieser Stelle keine großen Schönheiten bietet. Über Khorramshar, Abadan ging es weiter nach Shiraz und Isfahan.