Wortglut und Gnade

Wortglut und Gnade, eine gedankenlose Verbindung
Der Begriff der Gnade, so wie er vor allem in der Theologie von Augustinus bis Luther verwendet wird, ist eine Art virtuelles Wesen. Denn niemand kommt in den Zustand der Gnade durch irgendein eigenes Dazutun. Es verhält sich wie beim Zufall, der einem eben auch ohne jegliche eigene Intention zufällt, nur dass die Gnade stets ein glücklicher Zufall ist. Gott verteilt die Gnade „ungeschuldet“ wie es selbst beim Katholiken K. Rahner heißt, er ist also nicht verpflichtet dazu (K., Rahner, K., Kl. Theologisches Wörterbuch, Herder (1978) siehe unter Stichwort Gnade). Damit ziehen sich die Theologen wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf. Gott soll durch das Wesen der Gnade schmackhaft gemacht werden, aber das Ganze spielt sich in einem virtuellen Raum ab, von dem niemand etwas weiß oder wissen kann. Nur Gott weiß davon, aber der spricht mit niemandem direkt. Man kann ihn also auch nicht danach fragen, so wie Moses es noch tun konnte und der auch noch unmittelbare Antworten auf seine Fragen bekam.
Wenn man nicht nachdenkt, sondern vorgedanklich meditiert, kommen einem oft Einfälle zu, die man selbst nie so denken würde, wie beispielsweise „Wortglut“. Persönlich rede ich nie so affektiert und dramatisierend schwülstig daher, wie es mir mit dieser Vokabelkombination zugekommen ist, und so habe ich gleich in Internet nachgesehen, ob schon jemand jemals so etwas wie „Wortglut“ geäußert hat. Es gibt nur einen Eintrag, hinter dem sich ein Lektorat versteckt, was ja vielleicht nicht unpassend ist. Freilich hört man auch so sofort die Glut heraus, die in manchen inbrünstig geäußerten Worten stecken mag, die Glut, mit der ein Dichter sein Innerstes herausschreit oder in der er die wahren Worte lange und intensiv geschmiedet hat. Doch ich glaube, man muss die Sache anders angehen als durch äußerliche Vergleiche. Indem das Ich die Worte gebraucht, ist es nicht selbst Glut. Das ist jemand Anderes. Hier besteht eine Verbindung ohne Hilfe von Gedanken.

Da wir bis heute nicht wissen, wie Sprache eigentlich funktioniert, kann man leicht sagen, dass in jedem Wort eine gewisse Glut steckt, in der – quasi alchemistisch – die letzten Signifikanten, die im Wesen der Sprache selbst verborgenen „Wortschmieder“ der Kern unseres linguistischen Vermögens ruht. Die Glut muss in der ihr eigenen Substanz geschmiedet werden. Dies betrifft auch die Aussage Jacques Lacans, dass wir Menschen uns gegenseitig als „Wortschmieder“ begegnen und erst in diesem Moment der Begegnung das eigentliche Wort herausbringen, um das es geht – selbst wenn dies nicht immer zutreffend ist. „Die Natur des Menschen“, meint Lacan, „ist seine Beziehung zum Menschen“, und zwar ganz speziell seine Wortschmiede-Beziehung. In dieser kommt das Wort Gnade wohl kaum vor, und deswegen habe ich beide Begriffe zusammengestellt. Denn es ist wahrhaft eine Gnade, wenn in der Wortschmiede-Beziehung, in dieser Signifikanten-Begegnung ein wirkliches Treffen stattfindet. Man kann sich begegnen, intensiv miteinander reden, aber man trifft sich nicht, man enthüllt sich nicht, man glüht nicht zusammen. Jedes Ich bleibt sein Ich. Ein kleines Stück allerletzter Wahrheit, ein ultimativer Signifikant bleibt verborgen, bleibt virtuell, und es ist aus diesem Grund nicht verwunderlich, wenn man dann einen Gott bemüht, diese Lücke zu schließen. Aber schließt es sie denn, wenn das Gelingen der Gnade wieder offen bleibt?
Bei dem oben genannten vorgedanklichen Meditieren kommt es zu solch eigenartigen Enthüllungen wie dem der „Wortglut“, und die Wortschmiede-beziehung ist in diesem Fall eine zu sich selbst, zu sich als Unbewussten (zum Freud´schen Unbewussten), zu sich als ganz Anderem, als dem, der noch ganz woanders glüht. Der Arzt und Psychologe Carl Albrecht hat beispielsweise Mitte letzten Jahrhunderts eine rational kritische Methode der Selbstanalyse entworfen und jahrelang selbst praktiziert. Er übte sich in dem Verfahren des In-Sich-Hineinhörens durch Abschalten von Alltagsgedanken und Konzentration auf einen von innen kommenden wortbezogenen Begriff  (Albrecht, C., Das Mystische Wort,  (1951) S. 185). Er versuchte die ihm zukommenden Worte rational zu prüfen, um ihnen eine ‚echte‘ und profunde Wertung geben zu können. Er nannte seine Methode auch das „Sprechen in der Versunkenheit“. Bei dieser Technik des Aufgreifens der von „innen“ kommende mystischen Schlüsselworte, spürt man sofort, dass sich ihm durch diese Methode nicht ein wirklich neues, reales Wissen aufdrängt, sondern dass es ein Wissen ist, das er – Freud würde sagen: im Vorbewussten, im vorgedanklichen Ich – bereits hat. Die "mystischen" Eingebungen sind wie Gedichte, die er schon von irgendwoher kennt, z. B. von theosophischer Dichtung oder religiösen Anspielungen her und die stets etwas dunkel Erhabenes, "Oh Stein", "Urherz", "Licht" wiederholen und irgendwie pathetisch wirken. Ihm fehlt der Freud’sche oder auch der Sokratische Eros, die wirkliche tiefe Meditation. Irgendetwas traut sich in ihm keine gewagteren Behauptungen zu, und so liest sich sein Daimonion (die innere Stimme wie Sokrates es nannte) wie religiöse Lyrik, aber nicht mehr.
Trotzdem war sein Versuch mutig und interessant, scheiterte aber – fast möchte man sagen: logi-scherweise – an zwei Seiten. Erstens an der Theologie, am Spirituellen, denn er konnte natürlich schlecht behaupten, dass seine mystischen Worte göttliche Offenbarungen waren. Albrecht wäre hier mit all den vom religiösen Glauben Überzeugten, all den etablierten Konfessionen und Theologen in Konflikt geraten. Niemals hätten alle diese Geister zugelassen, dass seine Einge-bungen gottgewollt sind. Aber auch die zweite, andere Seite, war ihm versperrt: die Seite der Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse. Albrecht hatte keine wissenschaftlich begründeten Schritte, Vorstufen und Kategorien zur Verfügung, die seine mystischen Worte als wissenschaftlich-psychologisch vergleichbar ausgewiesen hätte. Er hat zaghafte Versuche mit Patienten gemacht, musste jedoch fürchten, dass einige dieser Personen übers Ziel hinausschießen und von mystischen Eingebungen derart schwärmen würden, dass man sie erst recht für psychisch krank halten könnte. 
Was C. Albrecht also fehlte war genau das kritische Übertragungs-Objekt, als das wir den Analytiker bezeichnen. C. Albrecht hatte hier nur seine Bildung, seine sicher lautere und ernsthafte Absicht und seinen allgemeinen christlich-mythisch-mystischen Glaubens-Hintergrund. Für ein seriöses wissenschaftliches Verfahren war dies jedoch zu wenig. Nun könnte man leicht sagen, dass mein Begriff der „Wortglut“ nicht viel anders klingt als Albrechts Mystik. Tatsächlich ist es ja ebenfalls etwas pathetisch, altertümlich mythisch. Ich habe es jedoch durch das Anwenden der Analytischen Psychokatharsis zustande gebracht (siehe Artikel auf dieser Webseite), die mit der in der Psychoanalyse so zentral etablierten Übertragung arbeitet. Der Psychoanalytiker wirkt als Objekt dieser Übertragung, indem alle möglichen Bedeutungen aus ganz anderen Wortschmiede-Beziehungen in die Beziehung zu ihm investiert werden. Die von mir benutzten Formel-Worte (ebenfalls auf der Webseite zu sehen) stellen eine zwar nur rein formale, aber dafür klar wissenschaftlich fundierte Form dieses Übertragungs-Objektes dar. Die Kernproblematik und Kernkonflikte der Wortschmiede-Beziehungen werden dadurch rein formal, rein konkretistisch,  in der Art dessen geweckt, was ich in Anlehnung an diese Formel-Worte  Pass-Worte nenne. Sie müssen evtl. noch psychoanalytisch nachbearbeitet werden, was ich auch mit dem Begriff der „Wortglut“ tun konnte. Mein Analytiker meinte, ich würde noch unbewussten Triebkräften durch „Wortglut“ auskommen wollen, und eben aus diesem Grund habe ich diesen Artikel geschrieben. Doch eigentlich würde ich gerne meine Wortglut in Gnade verwandeln.
Der Psychoanalytiker Kaltenbeck schreibt, dass es eine gewisse Verwandtschaft zwischen der Augustinischen Gnade und der Art, wie man sie erbitten kann (ohne Anspruch auf Erfolg) und der Art des Anspruchs, mit dem der Patient in der Analyse an seinen Therapeuten hinreden und hinphantasieren darf und soll, besteht. Denn der Psychoanalytiker muss stets den Anspruch des Patienten, was immer dieser auch assoziiert und träumt, auf den Trieb zurückführen, dessen suggestiver Kraft der Patient sich dann stellen muss. Er muss sein Ich aufgeben wie der Gläubige gegenüber Gott und selbst dann ist noch keine Heilung, keine Gnade, nichts garantiert. Aber was kann man dann noch tun? Meine Antwort wäre: auf das nächste Pass-Wort warten. Es bringt auf jeden Fall einen Dialog zustande, auch wenn dieser nicht immer ganz große Erfahrungen mit sich bringt. Immerhin ist es ein Dialog mit dem eigenen Unbewussten, was spannend genug ist für ein ganzes Leben. Man muss allerdings die Glut wenigstens ganz gering noch gerade wach halten.
Man kann also nicht wild drauflos auf Kosten der Natur leben und muss etwas „körperbezogen philosophieren“ wie der Analytiker E. Gendlin dies nannte (ein ähnliches, wenn auch nicht so umfangreich wirkendes verfahren wie die Analytische Psychokatharsis). Man muss sich also zusätzlich zu den meditativen Übungen  ein bisschen über die höheren Dinge belesen und ein wenig gesunde Ernährung und Bewegung betreiben. Dann löst sich der Knoten zwischen „Wortglut“ und Gnade in nicht mehr ganz gedankenloser Weise auf.