Die Wiederholungs-Arbeit

Nach psychoanalytischer Auffassung wehrt sich der Mensch gegen die zu heftigen und schwer kontrollierbaren Strebungen seiner Grund- bzw. Triebkräfte und entwickelt daher sogenannte psychische „Abwehren", Hemmungen und Blockierungen dagegen. In der psy-choanalytischen Therapie müssen diese „Abwehrmechanismen" dann aufgedeckt und gelöst werden, meist ein sehr langes, umständliches Verfahren. Um das Wirken dieser Grundtriebe, -kräfte, vereinfacht darzustellen, habe ich dem französischen Psychoanalytiker Lacan folgend das von Freud entwickelte Konzept dieser Kräfte etwas um-formuliert. Freuds Eros-Lebenstrieb und der ihm entgegenstehende Destruktions- oder Todestrieb sind zu krasse Gegensätze, die sich ständig aufheben müssten. Dagegen ist ein an die Wahrnehmung angelehnter Wahrnehmungs-, bzw. Schautrieb (letzterer Begriff stammt zwar auch schon von Freud) und der mehr der motorischen Abfuhr (wie es ebenfalls Freud schon nannte) angelehnte Entäuße-rungs- bzw. Sprechtrieb (da die hauptsächlichste menschliche nach außen gerichtete Intention) plausibler.


Den Schautrieb, den man sich ja als unbewusste Kraft als eine Art Schaut-, Scheint-, Strahlt-Lust vorstellen muss, habe ich verkürzt auch als ein „Es Strahlt“ bezeichnet. Damit wird man nämlich der umfassenden Struktur dieser Triebkraft besser gerecht und so, in die-ser Form, ist sie tatsächlich in jedem Menschen auch direkt und un-mittelbar erfahrbar. Man braucht sich nur eine Weile abgeschirmt hinzusetzen und evtl. bei geschlossenen Augen darauf zu warten, bis sich ein derartiges Phänomen wie das „Strahlt“ einstellt: man nimmt es z. B. als eine Helligkeitsempfin¬dung, als Erfahrung einer Erleich-terung oder einer Veränderung im Körperbild wahr, also in dem Ei-genempfinden (Propriozeption), das man in bildhafter Weise von sich und seinem Körper hat. Man kann es bei jedem Einschlafen und Aufwachen kurz bemerken, in dem die sensomotorischen „Nerven-ströme" sich zurückziehen und evtl. kurz wieder auftauchen und ei-nem diese Änderung im Körperbild ganz kurz bewusst wird. Es kann in Form eines Durchströmens, „Lichts“, Losgelöstseins auftreten oder in Gefühl eines sich vergrößernden Raumgefühls auftreten. All dies ist ja eine Art von „Strahlt“.
In der gleichen Weise verkürze ich auch den Entäußerungs- bzw. Sprechtrieb zu einem vereinfachten „Es Spricht“. Dies entspricht tatsächlich auch dem Besonderen der psychoanalytischen Auffassung vom seelisch Unbewussten, nämlich dass es nicht etwas ist, das ein S e i n hat, sondern das etwas zu s a g e n  hat, das „Spricht“. Das ist nicht ganz leicht zu verstehen. Ich werde es jedoch noch besser be-greiflich machen, dass es tatsächlich etwas in uns gibt, das ständig raunt, murmelt und verlautet und das man als solches auch wahr-nehmen kann (z. B. ebenfalls kurz beim Aufwachen, wenn man noch einen ganz seltsamen Gedanken, wirres Sprechen aus dem Schlaf mit ins Wachsein nimmt).
Auch in der von mir inaugurierten Analytischen Psychokatharsis müssen natürlich diese Zusammenhänge von Trieb¬kraft und Abwehr berücksichtigt werden. Aber das Vorgehen ist hier fast umgekehrt. In der klassischen Psychoanalyse erfassen wir die Triebe nur indirekt, sie sind psychisch nur durch Vorstellungen und Affekte, ja meisten sogar nur durch die entsprechenden Abwehrmechanismen repräsen-tiert. In der Analytischen Psychokatharsis dagegen werden die Trieb-kräfte sehr wohl psychisch, ja psychosomatisch direkt erfahren, aber in einer formal sehr eingeengten und geführten Form, bei der auf die „Abwehren" nicht so extrem geachtet werden muss. Sie werden eher etwas umgangen und nivelliert. Trotzdem wird das, was abgewehrt wird, substanziell erfasst und – sozusagen im Vorbeigehen -  bearbei-tet.
Die Triebkräfte sind so kombiniert, dass sie sich mit 'Objekten' ver-binden und für uns also als Intentionen, Wünsche und Antriebe er-fahrbar werden. Unbewusst ist uns dann eben mehr die Art, wie wir sie abwehren. Doch noch unbewusster verursachen sie fast mecha-nisch den von Freud beschriebenen 'Wiederholungszwang'. Unbe-wusst, unabsichtlich und doch von uns selbst dazu getrieben agieren wir immer wieder die gleichen 'Dinge'. Freud hat dies sogar mit dem gerade oben erwähnten Todestrieb in Zusammenhang gebracht. In der Analytischen Psychocatharsis wird nun gerade dieser Zusam-menhang genutzt, indem dem unbewussten Wiederholungszwang eine - wie die Psychoanalytikerin S. Heenen-Wolf schrieb - bewusste Wiederholungs-Arbeit entgegengesetzt wird. Heenen-Wolf schließt sich hier auch Lacan an, der den Wiederholungszwang dadurch bear-beitete, dass er seine Patienten oft nur zu ganz kurzen Sitzungen empfing, sie aber stets empathisch bat, wieder zu kommen. So wie-derholte sich zwar das Kommen, nicht aber die Sitzung, was den Zwang durchbrechen konnte. Viele Patienten empfanden diese Wie-derholungs-Arbeit als etwas grob.
In der Analytischen Psychokatharsis wird die Wiederholungs-Arbeit differenzierter im Sinne eines Übungsverfahrens eingesetzt. Seit Jahrtausenden gibt es Gebete und Rituale, in denen man Wiederho-lungen zur seelisch-sozialen Stabilisierung eingesetzt hat. Doch in unserer heutigen pluralistischen und überinformierten Gesellschaft würden wir mehr derartige Operationalisierungen benötigen, um uns alle stabil zu halten. Ein umfassenderes Verfahren muss wie die Psy-choanalyse so ko0nstruiert sein, dass sie dem einzelnen gerecht wird und doch eine einheitliche Wissenschaft ist. Denn Rituale tun es na-türlich nicht mehr. Damit eine solche Wissenschaft überhaupt wirken kann, kann sie jedoch nicht mit der Sprache der Alltagslogik, mit sinnbezogenen Sätzen und Argumenten arbeiten. Man kann nicht mit „formelhaften Vorsätzen“ wie im autogenen Training oder mit ge-betsartigen Formulierungen vorgehen, wie es in vielen Meditations-übungen üblich ist. Solche würden sich ja nur wieder in die Ab-wehrmechanismen einschreiben, die ja durchaus sinnbezogen sind, wenn auch oft an der Grenze des sprachlich Normalen, des normal Syntaktischen. Um es anschaulicher zu sagen: wir bräuchten ein Ge-bet, dass die verschiedensten Einzelwesen anspricht, und das könnte dann eben nur eines sein, das nicht nur für eine bestimmte Richtung Sinn hat, das also geradezu kryptisch, enigmatisch sein müsste. So etwas würde dann fast keiner mehr verstehen, aber es wäre doch für alle da, so seltsam das klingen mag.
Ich schlage jedoch vor, für die Wiederholungs-Arbeit die von mir schon an vielen Stellen veröffentlichten Formel-Worte zu verwenden, die mehr Formel als Wort sind, aber doch mathematisch-logisch aufgebaut wurden und daher alle überzeugen können. Obwohl sie jeder individuell anwenden kann. Ein Beispiel zeigt die unten ste-hende Abbildung. In ihr ist die der lateinischen Sprache entnommene Formulierung  O-S-A-C-E-R-A-M- im Kreis geschrieben gewählt.
Man kann bei verschiedenen Buchstaben angefangen lesen:  AMOR SACER    Die Liebe ist heilig,  ORSA C ERAM  Hundertfaches Beginnen war ich,  MORS ACER    Der Tod ist bitter,  AC ERA MORS  und sogar Tod durch die Hausfrau.
So ergibt das gezeigte Formel-Wort von verschiedenen Positionen, von verschiedenen Schnittstellen, aus gelesen eine andere Bedeutung, mindestens vier oder mehr. All diese wiederum lassen sich zu keinem einheitlichen Sinn verdichten, und genau so etwas kann das unbewusste Wiederholen aufsprengen, wenn man es ihm durch stän-diges, gedankliches Wiederholen im Sinne dieser Wiederholungs-Arbeit entgegensetzt. Damit lässt sich also eine Psychoanalyse an ihren tiefsten unbewussten Wurzeln betreiben.
Wie erwähnt, sah Lacans Widerholungs-Arbeit recht anders aus, war aber raffiniert gemacht. Grundsätzlich sollte gelten, dass der Analy-tiker die Dauer der Sitzung bestimmt, der Patient aber die Dauer der gesamten Therapie. So konnte der Patient hunderte Male kommen, aber nur wenn er etwas Echtes, Originäres, Authentisches sagte, konnte die Sitzung ihm wirklich etwas bringen. Meistens ging er frustriet nach Hause. Doch dort ging er gedanklich die Situation durch und erschien eben wieder bei Lacan, oft mehrmals die Woche, oft über zehn Jahre. Zudem lud Lacan in oft geradezu flehentlichem Ton den Patienten zum Wiederkommen ein. Dem stumpfen Wieder-holungszwang, der sicherlich auch in diesem Verfahren steckt, wurde jedoch durch die so häufig wiederholte Situation des Durcharbeitens zu Hause und in der Sitzung aufgehoben. Möglicherweise jedoch nicht ganz.
Anders in der klassischen Psychoanalyse. Hier gibt es überhaupt kei-ne Wiederholungs-Arbeit. Der Wiederholungszwang wird zwar in den Sitzungen, die eine geregelte längere Zeit und mit geregelter Dauer zu Verfügung stehen, besprochen, gedeutet und – wie es heißt – in der Übertragungsrelation – durchgearbeitet. Aber auch hier oft nicht gänzlich. Freud sprach bekanntlich von der unendlichen Analy-se, weil eben gerade der so hartnäckige Wiederholungszwang kaum ganz bearbeitet werden kann. In der Analytischen Psychokatharsis hängt es ganz vom Übenden selber ab, ob er seinen Wiederholungs-zwang ganz durcharbeitet oder nicht. Hier wird wie bei Lacan haupt-sächlich mit der Wiederholungs-Arbeit vorgegangen, die der Betref-fende selber zu Hause bewerkstelligen kann. Er muss oder kann nur gelegentlich mit dem Therapeuten sprechen. Wie viel und wie lange er übt hängt also von ihm selber ab.
Nochmals kurz zu dem entscheidenden Wendepunkt, Umkehrpunkt oder der Kreuzung vom Wiederholungszwang zur Wiederholungs-Arbeit. Man kann  diesen Wendepunkt als das ansehen, was der Phi-losoph J. Lyotard als die oszillierende Matrix/Figure bezeichnet hat. Dies sei ein schwingendes, oszillierendes Seelisch/Körperliches, das vollkommen unbewusst die Basis jeden Lebens ist, besonders jedoch des menschlichen Lebens. Lacan beschreibt dies auch als den „lingu-istischen Kristall“, also genau das eingangs erwähnte Spricht / Strahlt. Ob es Phoneme sind, Buchstaben, gebrochene Wörter oder Silben, Bild-Wort-Symbole, Signifikanten oder sonst etwas, das so wie gerade beschrieben kombiniert ist, ist egal. Am idealsten lässt es sich durch ein Formel-Wort darstellen, das zusätzlich noch auf eine topologische Figur geschrieben ist. Hier wird das Strahlt und Spricht besonders gelungen vermittelt. 
                                                                         
In der rechten und linken Abbildung ist dies dargestellt. Links ist eine Boysche Fläche zu sehen, die aus einer Erdkugel entwickelt wurde. Man sieht, wie die Kontinente und Ozeane durch eine Verdrehung und Verschlingung der Flächen völlig im Innern des topologischen Gebildes bis zum Nichts hin verschwinden und wieder auftauchen. Auf diese Weise kommt der Südpol hinter dem Nordpol zu liegen. Genauso rechts ein Formel-Wort, das entsprechend seinen Schnitt-stellen nach innen verschwindet und wieder – flächig verdreht - em-porkommt. Solche ‚Dinge‘ haben Übende der Analytischen Psychokatharsis erfahren, indem sie flüchtig Schriftzeichen oder ein Wort, einen halben Satz etc.  wahrgenommen haben. Den Formel-Worten analog sind nämlich die Pass-Worte, Identitäts-Zeichen oder –Signifikanten, die man beim Üben wahrnehmen kann.
Taucht man nämlich in den „linguistischen Kristall“ nur tief genug ein, kann man sein Oszillieren erfahren und das damit verbundene Symbolische erkennen oder durch weitere Deutung klären. Dann ist die Wiederholungs-Arbeit wirklich abgeschlossen.