Das Hören mit dem Dritten Ohr

Der Psychoanalytiker W. Reich, ein unmittelbarer Schüler S. Freuds, behauptete, der Therapeut müsse weniger mit seinen zwei ohnehin nicht so vollwertigen Ohren sondern mit dem Dritten Ohr hören, was der Patient sagt. Selbstverständlich gibt es kein wirkliches Drittes Ohr  so wenig wie es ein Drittes Auge gibt. Letzteres spukte lange und spukt vereinzelt auch heute noch durch die esoterische Literatur. Man vermutete es in der Zirbeldrüse. Doch wenn überhaupt von einem visuellen, ikonischen Zentrum im Gehirn gesprochen werden könnte, müsste man dieses eher im sogenannten hypothalamischen Bereich ansiedeln. Dort liegen die Verbindungsrelais, die Meldungen von Groß- Mittel- und Stammhirn vermitteln. Und so ähnlich wird es wohl auch mit dem Dritten Ohr sein, das also nur ein mystisch-mythischer Ausdruck für das Verbal-Symbolische, für das Zentrum der Signifikanten ist. Nach psychoanalytischer Auffassung ist der Kontakt zum Hypothalamus aber ebenso nicht das eigentlich Relevante. Dies liegt vielmehr im Unbewussten.


Aber was genau ist das Unbewusste und wie könnten wir mit der Metapher vom Dritten Ohr besser umgehen. Es heißt ja, dass der Analytiker in der Beziehung zum Patienten nicht nur neutral und abstinent bleiben, sondern auch mit „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ zuhören soll. Dieser Ausdruck Freuds hat von Anfang an für Konflikte und Schwierigkeiten gesorgt. Was gemeint war ist nicht so schwer zu verstehen: der Therapeut soll sich nicht wach auf die rational inhaltlichen Aussagen seines Klienten konzentrieren, sondern mehr intuitiv auf dessen affektive, zwischen den Zeilen herauszuhörenden und mehr irrationalen Äußerungen. Doch wie soll der Analytiker gleichzeitig in einem fast tranceartigen – also intuitiven -  Zustand versetzt dann auch noch rational denk-fähig bleiben, um im rechten Moment eine Deutung zu den Einfällen des Patienten geben zu können? Das Dritte Ohr ist somit zwar nicht taub, aber doch nur recht eingeschränkt verwendungsfähig. Dieses Problem ist bis heute noch nicht gelöst.
Dazu kommt noch, dass auch von Seiten des Patienten das Hören mit dem Dritten Ohr erschwert wird. Dieser soll nämlich „frei assoziieren“, es soll spontane Einfälle äußern und sich genauso wie sein Therapeut nicht zu sehr an rationalen Gedankengängen orientieren. Dem leicht schwerhörigen Dritten Ohr werden also auch nicht Zwischenlaute zugemutet, die bekanntlich das große Problem jeder verbalen Entschlüsselung darstellen. Am meisten ist dies bei den angeblich gehörverbessernden Geräten zu sehen. Kaum sind mehrere Stimmen und Zwischengeräusche im Raum, versagen die meisten dieser recht teuren Apparate. Nun gibt es freilich für den Psychoanalytiker einen idealen Ausweg. Er kann gerade aus den unkorrekten Äußerungen seines Patienten, so er sie denn - gleichschwebend aufgemerkt – wahrgenommen hat, seine eigenen freien Einfälle dazu äußern, insofern diese ja durch lange Schulung an ihm selbst und durch Kontrollfälle eine gewisse wissenschaftliche Ausrichtung erfahren haben.
Das Dritte Ohr des Psychoanalytikers ist durch die „logische Praxis“ – wie Lacan diese Arbeit nennt – etwas vorgeformt. Es ist fast eher so etwas wie die komplex und akribisch programmierte Software eines Ausspähcomputers, der alle - auch scheinbar sinnlose - Daten sammelt und diese dann nach den Kriterien eines Ödipus- oder Kastrationskomplexes, verstrickter Schuld- und Schamgefühle, Neid- und Eifersuchtsfixierungen und hunderterlei anderer Aspekte weiter filtert. Das Dritte Ohr des Therapeuten ist als nichts anderes als eine ungeheure komplexe Bedeutungs-Maschinerie, die dieser mühsam hat erlernen müssen und ebenso mühsam anwenden muss. Manchmal ergibt die Filterarbeit nicht das Richtige her. Man hat dann aus extrem viel Material nur einen Satz herausgefiltert, der eine Deutung ermöglicht. Warum gibt es noch keinen Computer, der solch ein perfektes Rechenprogramm fertig in seinem Speicher hat und das dem Analytiker oder auch dem Probanden zur Hand gegeben werden kann, um die Arbeit zu erleichtern und vielleicht sogar auch zu beschleunigen? Denn gute Psychoanalysen dauern schrecklich lange.
Doch die Automatisation der Psychoanalyse durch eine derartige Computermaschinerie ist enorm schwierig. Bemühungen von Computerwissenschaftlern und Psychoanalytikern in Wien, das ja schließlich auch die Hauptstadt der psychoanalytischen Bewegung ist, haben ein Buch geschrieben, wie die Freud´sche II. Topik – das Theoriemodell der menschlichen Psyche in der Form des Zusammenwirkens von Ich, Es und Überich – auf dem Computer funktionieren könnte (Bruckner, D., Dietrich, D., Simulating the Mind: A technical neuropsychoanalytical Approach, Springer (2009). Im Internet lässt sich auch der Artikel der gleichen Autoren: Psychoanalytical Model for Automation and Robotics herunterla-den).
Sie glauben, dass mit einer derartigen computergestützten Animation Psychoanalytiker die Freud´sche Theorie besser verstehen können und dass Computerwissenschaftler auf diese Weise „Maschinen mit „human-like intelligence“ produzieren können.  In ersten Stellungnahmen zu diesem Buch schreibt der in dieser Thematik versierte Philosoph G. Doeben-Henisch, dass schon der Top-Down-Ansatz, den die Autoren aus Forschungen über „Künstliche Intelligenz“ heraus favorisieren, problematisch ist. Gerade in der Psychoanalyse, wo Erkenntnisse aus den „freien Einfällen“ der Patienten gezogen werden, und daher durcheinandergeworfene Sätze, ja sogar verwirrende Träume als Basis dieser Erkenntnis dienen, kann man nicht plötzlich von oben her dem Ganzen ein Konzept aufstülpen. Es ist dennoch verständlich, dass die genannten Computerwissenschaftler sich die Psychoanalytiker als Partner ausgesucht haben. Deren Konzepte erscheinen besonders intelligent.
Zwar spielen auch hier  sprachverarbeitende (Drittes Ohr) und bildverstehende (Drittes Auge) Konzepte eine große Rolle. Doch wie verbindet man die beiden? Die subjektbezogenen Erfahrungen in der Psychoanalyse sind so vielfältig und vielschichtig, dass man ihnen nicht so einfach ein KI-Modell überstülpen kann, auch wenn sich dieses auf Ich, Es und Überich bezieht. Die freien Assoziationen des Patienten legen auf jeden Fall ein Bottom-Up Konzept viel näher. „Diese subjektbezogenen Daten können nicht unter ein Paradigma empirischer Messungen subsumiert werden,“ schreibt Doeben-Henisch daher weiter, „das wesentlich für die empirischen Wissenschaften ist. . . .  In den letzten Jahren haben wir mehr über die Wichtigkeit subjektbezogener Daten gelernt, insofern sie notwendige erkenntnistheoretische Hinweise für ein tieferes Verständnis empirischer Strukturen sind. Wir haben auch über die Notwendigkeit gelernt, zu versuchen formale Modelle dieser subjektbezogenen Daten zu entwickeln.“ Doeben-Henisch weist auch darauf hin, dass dies besser ist als eine “magische” Umformung nicht-empirischer Daten in empirische Tatsachen, wie es die Wiener Psychoanalyse-Automatisierer tun.
Ich habe ein Verfahren entwickelt, das sich an Lacan anlehnt und sowohl dem Bottom-Up wie auch dem Top_Down etwas gerecht würde, und zwar durch ein „Aus-Der-Mitte-Heraus“. Damit ist nicht die berühmte Mitte Graf Dürckheims gemeint, Hara, das Mitte-Körperzentrum, das Dürckheim aus dem Yoga und dem Buddhismus übernommen hat. Es ist etwas gemeint, dass der Psychoanalyse Lacans, die ja trotz der Praxis des Bottom-Up sehr weit Oben, sehr im Top angelegt ist, entnommen ist und gleichzeitig dem Autogenen Training oder ähnlichen Verfahren verwandt ist. Diese letzteren sind von vornherein mehr in der Mitte situiert, wenn auch nicht in Hara, so doch in der Mitte des  Unbewussten zwischen Drittem Ohr und Auge. Die beste Kombination dieser beiden my-thischen Metaphern gelingt eben doch noch mit dem persönlichen Engagement und dem eigenen Üben.
In diesem Verfahren (Analytische Psychokatharsis, deren praktische und theoretische Beschreibung ich auf dieser Webseite und in vielen Veröffentlichungen beschrieben habe) habe ich das Dritte Ohr ein Es Hört, Es Spricht, Es Verlautet genannt. Das Dritte Ohr ist ein subjektbezogener „Laut“, der immer und überall schon da ist und den man sich nur hörbar und sprechbar machen muss. Dabei ist das psychoanalytische Denken genauso hilfreich wie das meditative Vorgehen. In einer Meditation gelingt eine viel tiefere „gleichschwebende Aufmerksamkeit“, da man ja nicht gleichzeitig rational denken muss, was es nun mit den seelischen Komplexen beim Patienten auf sich hat. Allerdings benötigt man ebenfalls eine kleine Vorbereitung des Dritten Ohrs, doch nur in einer streng formalisierten, fast mathematisch formulierten Form (Ich nenne sie Formel-Worte, was das Sprechen angeht und Pass-Worte, was das Hören betrifft).
Dafür gibt jedoch dieses Dritte Ohr das Verlautete auch in verstehbarer Form sofort wieder heraus. Man muss also Analytiker und Patient sein, doch die eigentliche Arbeit vollbringt ja das Unbewusste, das Auge/Ohr, das ich in diesem Verfahren auch ein Strahlt/ Spricht nenne. Weiteres und Detaillierteres  kann auf dieser Webseite gelesen werden.