Transen, die Auflösung der Ur-Übertragung

Ich verwende das Verbum „transen“ für einen Vorgang, wie er in der Analytischen Psychokatharsis vorkommt. Das Substantiv Transen wird leider in abwertender Form für Transsexualität benutzt. Aber als Zeitwort, als Verbum ist es für das gerade erwähnte Verfahren der Analytischen Psychokatharsis geradezu ideal. Bekanntlich ist die Übertragung ein Ereignis in der Psychoanalyse, in dem der Patient unbewusst Bedeutungen auf den Therapeuten überträgt. Durch die Deutung „freier Assoziationen“, die der Patient beisteuert, kann der Psychoanalytiker diese Übertragungen auflösen und so eine zu realistischere Einstellungen führende Haltung erreichen, eine psychische Progression. In der Analytischen Psychokatharsis ereignet sich jedoch eher etwas, was man – als Pendant zur Freud´schen Ur-Verdrängung (ein psychischer Gegenbesetzungsvorgang der noch vor den eigentlichen Verdrängungen liegt) eine Ur-Übertragung nennen muss. Hier überträgt der Übende ja nicht unbewusste Bedeutungen auf eine Therapeutenperson, sondern in das meditative Dunkel, in das Nichts, das im eigenen Inneren auftaucht.


Nun muss auch diese Ur-Übertragung zumindest teilweise aufgelöst werden. Diesen Vorgang, der also die Ur-Übertragung und ihre Auflösung bestimmt, habe ich versucht mit Begriffen wie Verwandlung, Transsubstanziation und Ähnlichen zu beschreiben, denn Progression allein genügt hier nicht. Doch all diese Worte lösen nur wieder neue Vorstellungen aus, die ja gerade bei diesen (aber im Grunde genommen bei jedem) psychoanalytischen oder psychokathartischen Vorgehen nur hinderlich sind. Das Wort „trans“ alleine würde das beste dafür sein, aber es lässt sich so grammatikalisch nicht verwenden. Man braucht für diesen Vorgang (Ur-Übertragung + Auflösung) ein Verbum und so ist „transen“ gerade richtig. Dazu kommt, dass das Transsexuelle ja auch etwas mit tiefliegenden psychophysischen Identitäten zu tun hat. Menschen verdrängen nicht nur aggressive und gleichgeschlechtliche Einstellungen, sondern eben auch transsexuelle. Die Zweigeschlechtlichkeit sei in jedem Menschen angelegt, war im Grunde genommen auch Freuds Meinung.


Das Transsexuelle war sogar das theoretische und hauptsächliche Werkzeug eines der ersten Psychoanalytiker, nämlich von G. Bose, einem indischen Therapeuten, der über seine Arbeit auch mit Freud korrespondiert hat. G. Bose, entwickelte nämlich im Gegenzug zu Freuds Definition des Ödipuskomplexes den Komplex der „gegen-sätzlichen Wünsche“ (opposit wishes) oder Affekte. Der Kastrationsangst des Knaben setzte er z. B. den unbewussten „Wunsch eine Frau zu sein“ gegenüber. Dieser unbewusste Wunsch musste dann vom Therapeuten dem Patienten bewusst gemacht und mit der äußerlichen Situation versöhnt werden. Tatsächlich finden wir auch im indischen Yoga oft etwas Vergleichbares in der Betonung der Guru-„Bhakti“, der devoten, hingebungsvollen Liebe zum „Meister“, wieder. Hingabe und Empfänglichkeit sollten bis zum Geht-nicht-mehr entwickelt werden, was nichts anderes bedeutete, als eine weibliche Struktur im Yoga zu betonen. Letztlich geht es im meditativen Yoga um eine Art der Konzeption, der „Empfängnis“, wenn man in der „Verschmelzung“ mit dem Guru dessen Lebensimpuls in sich verinnerlichen sollte, und dies war wohl auch G. Boses Ausgangspunkt.


Ähnlich – jedoch psychoanalytisch gesehen und damit „andersherum“ - schildert auch der indische Psychoanalytiker S. Kakar den bekannten indischen Heiligen Ramakrishna als einen vom Transsexualismus gequälten Yogi, der alle möglichen körperlich-psychisch-sexuellen Transformationen durchmachen muss, um dieses Männlich / Weiblich in sich zu kombinieren.  Tatsächlich war Ramakrishna hochneurotisch, er bekam Nesselausschläge wenn ihn eine Frau berührte. Ich muss hier erwähnen, dass in der Psychoanalyse das „Weibliche“ immer noch nicht klarer konzipiert werden konnte. Es gibt  – so Lacan - nicht „d i e   Frau“ – mit der Betonung auf „d i e“ - , also keine Möglichkeit die Frau   universal, generell zu erfassen, und sie in Begriffen der Freudschen Li-bidotheorie wissenschaftlich zu beschreiben. Und so – also von außen gesehen – verlegt etwa ein zölibatärer Yogi wie es z. B.  der Yogalehrer  Kirpal Singh war, im Begriff der “unio mystica“, der „Verschmelzung“ die Vereinigung im „Weiblichen“ ins „chid akash“, in ein Zentrum im Kopf, wie er es selbst beim „Laya-Yoga“ beschrieben hat.  Ver-schmelzung ist für Freud eine Identifizierung, die sich vor dem Hintergrund einer assimilierenden Verschlingung (Oraltrieb) abspielt. So kann man es aber im Yoga wahrscheinlich nicht sehen.


Für meinen Artikel hier ist dies alles jedoch auch gar nicht so wichtig. Im Transsexuellen sehe ich im Vordergrund eben diesen Umwandlungsvorgang, diesen Drang die Identität vollkommen zu wechseln, und dies ist nichts anderes als die Ur-Übertragung aufzulösen. Denn das Transsexuelle ist nichts genetisch Fixiertes, es ist nicht etwas fixiert Angeborenes, sonders entsteht im Vorgang der psychophysischen Identitätsbildung innerhalb der frühen Kindheit. Wir entscheiden uns – besser vielleicht: wir sind entschieden – für das uns sichtbare und innerlich unbewusst wahrnehmbare Geschlecht, eine Identität zu haben, die dann noch durch weitere Umweltfaktoren verstärkt und so gefestigt wird. Nicht so jedoch beim Transsexuellen. Er entwickelt sich aus dem Zustand der Bisexualität zu einer Art von Zwei-Ein-Geschlechtlichkeit (aus welchen Gründen auch immer soll hier jetzt nicht diskutiert werden), die er dann durch äußere Körperveränderungen festigen will. Ich will damit sagen, dass ihm das „transen“ wohl nicht ganz gelingt – Lacan sprach sogar vom transsexuellen Delir – weil er in einer ausgesprochen erotischen Form darin verbleibt. Trotzdem macht das Transsexuelle die Strebung zur Verwandlung, nicht zu einer Art Umkehrung, sondern „Anders-Kehrung“ wie sie auch in der Psychoanalyse und der Analytischen Psychokatharsis vorkommt, plas-tisch und anschaulich. Und so finde ich „transen“ einen guten Ausdruck für die eigentliche, wirklich identitätsstiftende, psycho-physische Umwandlung.