S´ geht besser, Freuds Nachträglichkeit

Wer das Verfahren der Analytischen Psychokatharsis kennt, weiß, dass man durch die Meditation sogenannter Formel-Worte gezielt – weil nach psycho-linguistischen Vorgaben erleichtert - ins Unbewusste eindringen und dort Inhalte wecken kann. Diese Inhalte kommen manchmal nur als die mehr kathartische Seite zum Vorschein, die

aus einer Entspannung, Befreiung oder wie es im autogenen Training heißt: „vegetativen Umschaltung“ besteht. Hier möchte ich jedoch nochmals zur mehr analytischen Seite etwas sagen, die sich durch die Erweckung sogenannter Pass-Worte auszeichnet. Der Übende, der sich in tiefer Meditation befindet, wird plötzlich eines Gedankens gewahr, der ihm fast wie fremd oder von weit her reichend vorkommt, aber doch auch ganz klar von einem Gedanken im Traum verschieden ist.

Dazu ist der Übende einfach noch zu wach, um einen meist ja sehr entstellten, verdrehten Traumgedanken zu haben. Die psycho-linguistische Ausrichtung der Übungen hat ihn ja auch in einer „assoziativen“ wie auch „schwebenden Aufmerksamkeit“ gehalten, beides Begriffe, die in der Psychoanalyse wie auch hier in der Analytischen Psychokatharsis eine wichtige Verwendung haben. Dadurch bekommen die auftauchenden Gedanken eine schon syntaktisch und grammatisch geordnetere Form. Ein Beispiel mag dies – wie viele andere von mir bereits veröffentlichte – anschaulich machen.

Jemand, der also in der Analytischen Psychokatharsis schon einige Erfahrung hatte, wurde in tiefer Entspannung plötzlich des Gedankens gewahr: S´ geht besser. Es fiel ihm sofort auf, dass dieser Kurzsatz paradox war, denn es ging ihm gar nicht gut und deswegen hatte er ja regelmäßig mit dem Üben der Analytischen Psychokatharsis begonnen. Dennoch war er auch erstaunt und sogar etwas erleichtert, weil ihm gleichzeitig natürlich auch bewusst war, dass er selbst oder zumindest etwas ihm ganz Zugehöriges diesen Satz gedacht, ja fast wie hörbar ausgesprochen hatte. Wo ging etwas besser, wie kommt dieser Gedanke zustande, wo es ihm doch eigentlich nicht gut ging? Wer sich wie eingangs gesagt mit der Analytischen Psychokatharsis etwas auskennt, weiß, dass die erwähnten Formelworte auf Grund eines gesicherten psycho-linguistischen Vorgehens das von der Psychoanalyse als symbolisch strukturierte Unbewusste angehen und somit eben nicht wie im Traum oder in schwerer psychischer Verwirrung Aussagen zustande kommen, sondern Sätze, die etwas mit der eigenen Identität zu tun haben und deswegen zu recht Pass-Worte genannt werden können.

Neue Identitäten finden sich in Psychoanalysen oft in Träumen angezeigt, müssen aber noch ausführlich gedeutet werden. Jemand, der ausgeprägte Hemmungen hatte, träumt vielleicht davon, wie er sich an ein Tier oder eine heikle Aufgabe herantraut, und als Analytiker erkannt man dann die bereits vorgebahnte Heilung. Auch hilft die Deutung, dass so ein Traum den Mut, eine Hemmung zu überwinden, bereits anzeigt, dem Patienten, in seinem bewussten Leben davon zu profitieren und sich weiter zu entwickeln. In genau diesem Sinne konnte der oben genannte Proband daher sehr schnell seine Zweifel beruhigen und sich sicher sein, dass etwas in ihm besser geht, auch wenn er es noch nicht eklatant selber und bewusst wahrnehmen und spüren kann. Doch schon die weiter auftretende Erinnerung an dieses Pass-wort des S´geht besser bewirkte eine zunehmende tatsächliche Besserung. Auch dieses Phänomen ist aus der Psychoanalyse bekannt. Es ist das Phänomen der von Freud so benannten Nachträglichkeit.

Viele Psychoanalytiker verstehen heute darunter die Tatsache, dass meist nicht das Trauma selbst das Schädliche ist, das die Psyche verstört, sondern die nachträgliche unglückliche Verarbeitung desselben. Hat das Kind die Eltern beim Intimverkehr beobachtet und ist es über die dabei erschreckende Heftigkeit, Lautstärke und scheinbare Gewalt sowie seine eigene Ausgeschlossenheit von solcher Intimität entsetzt, wird ihm erst viel später auch das Peinliche, Exhibitionistisch-Voyeuristische an dieser „Urszene“ bewusst. So entsteht oft nachträglich das eigentliche Trauma. Umgekehrt jedoch in der Analytischen Psychokatharsis: hier wird nachträglich immer mehr bewusst, dass die Pass-Worte, diese manchmal auch oft etwas wiedersinnigen oder fast geheimnisvollen Kurzsätze doch eine sehr wichtige Bedeutung haben. Diese verstärkt die positive Einstellung zum Unbewussten und zur Entspannung. Oft genügt ein einziges zutreffendes und enthüllendes Pass-Wort, um innere Konflikte und Komplexe sowohl im Moment als vor allem auch durch die Nachträglichkeit zu lösen.

Die Nachträglichkeit ist etwas, das spontan geschieht, bei Freud jedoch vorwiegend in Form des „nachträglichen Gehorsams“ auftritt. Bei diesem handelt es sich um eine Art von Wiedergutmachungsdrang, um das Verschieben, Ummünzen von etwas Verdrängtem, das in der Folge eines lang innerlich bewahrten Schuldgefühls auftaucht. Freud leitet davon sogar die Entstehung des Gottesglaubens ab, weil die Menschen früher ihren Urahnen-Vater umgebracht hätten und den Toten dann später – indem dieser Mord nicht das erbrachte, was sie sich vorgestellt hatten – zu einem Gott erhoben. Wir können uns aber auch denken, dass eine stark affektiv besetzte Erinnerung wieder aus dem Unbewussten durch ebenso starke andere Erlebnisse geweckt wird. Die „Urszene“ erscheint dann nicht in ihrer peinlichen Form, sondern wird eher mitgetragen von den momentanen Erfahrungen, die eben bei der Analytischen Psychokatharsis als kathartisches Gefühl auftritt. Es ist das Gefühl eines sich verändernden Körperbildes, das ein „Durchrieseln“, „Durchschauern“ erzeugen kann und eher befreiend als beklemmend wirkt. Freilich wird dadurch das Verdrängte dann nicht völlig gehoben. Dies besorgen – so es nötig ist, dann vielmehr die Pass-Worte.

Ich sage: so es nötig ist, weil viele Menschen heutzutage durch Vorbildung psychoanalytischen Wissens, den Zusammenhang mit dem „Urszene“-Erlebnis schon auch so erahnen und das Kathartische dann als den Teil genießen können, der hinter dem vorhin erwähnten Ausgeschlossensein brach lag: das Kind hätte nämlich durchaus ein „Durchschauern“, „-rieseln“ beim Urszenetrauma erleben können, wäre es dazu fähig gewesen. Es hatte jedoch noch nicht diese Stabilität und Reife, diesen Moment kurz in innerer Schwebe zu halten, sein ja letztlich gar nicht so traumatisches affektives Erfahren eben als Katharsis wahrzunehmen. In der Analytischen Psychokatharsis ist dies jedoch möglich oder lässt sich nachholen. Durch die Methode gestützt, weil auch verstandesmäßig durchgearbeitet, kann man sich in die affektiven Strudel hineinwagen und sie kathartisch nutzen. Ich hatte zweimal Patienten, die die Katharsis erlebten, als seien es „sexuelle Bewegungen“, die mit entsprechenden rauschhaften Erfahrungen einhergingen.

In derartige Erfahrungen weiter hineinzugehen ist natürlich nicht der Sinn der Analytischen Psychokatharsis. In solchen Fällen ist dann umso mehr die analytische Seite und ein Pass-Wort gefragt, das dem Ganzen eine realistischere Richtung gibt. Ich will damit jedoch andeuten, dass das Verfahren der Analytsichen Psychokatharsis der Psychoanalyse sehr ähnlich und meist sogar im Endeffekt mit ihr identisch ist. Man erspart sich jedoch oft langjährige Behandlungen, die verzögert werden, weil die Gegenübertragung des Analytikers und Widerstände beim Patienten ein derartig schnelles Eindringen ins Unbewusste und geschütztes Auffangen von dessen Inhalten verhindern.

Außerdem beinhaltet sie eine Neuformulierung der psychoanalytischen Theorie. Ich lehne mich hier etwas an den australischen Psychoanalytiker N. Symington an,[1] der wie Freud im Unbewussten zwar ein Gedächtnis sieht, das seine Erinnerungen nicht so leicht preis geben will, den Zugang dazu jedoch von einer anderen Seite her angeht. Symington beruft sich auf die frühen, naturnahen Religionen, in denen die Dinge so geliebt wurden, dass sie ein starkes positives inneres „Selbstobjekt“ schufen. Er nennt dieses innere Objekt auch die „Thathood“, die Dasheit, also etwas, D a s bei jedem Menschen mit Liebe besetzt und so beschaffen ist, dass die Menschen sich über dieses Objekt stets positiv gegenseitig vermitteln können. Sein ganzes Konstrukt nennt er dann ach eine „wissenschaftliche Religion“.

Doch der Begriff der Religion verführt dazu, Symingtons Auffassung als konfessionell, theologisch verbrämt und trotz aller Wissenschaft doch noch sehr vom Glauben her bestimmt zu sehen. Eher wäre sie als eine psychoanalytische Wahrnehmungstheorie zu begreifen. Symington spricht von der „true perception“, der wirklichen Wahr-Nehmung.[2] Diese ist eben genau so wie an die Sinnesorgane an ein Gedächtnis, nämlich das der „Thathood“ gebunden. Die „Thathood“ ist ein Stück Katharsis, aber auch ein Stück Wertung, die somit in die eigentliche Wahrnehmung mit eingespeist wird. Genau diese Wertung kommt auch in dem Kurzsatz des S´ geht besser heraus. Das Dasheits-Gedächtnis weiß schon, dass es besser wird, während der Proband dies noch nicht voll erfasst hat. Im Gegensatz zu den naturreligiösen Menschen müssen wir heute solche sprachlichen, intellektuellen Sätze mit in unsere Reifung hereinnehmen. Wir können das Gute, Positive für uns nicht mehr einfach durch eine scheinbar universale Wahr-Nehmung erfassen. Diese ist selbstverständlich auch bei den naturreligiösen Menschen öfters einmal daneben gegangen. Aber im Generellen hat diese ihre Nachträglchkeit wohl funktioniert.

[1] Symington, N., The blind Man sees, Freud´s Awakening and other Essays, Karnac (2004)

[2] Im Deutschen hat dieser Begriff seine ursprüngliche Bedeutung bewahrt.